Mühldorf – Die Corona-Pandemie macht auch vor der heimischen Wirtschaft nicht Halt. Für viele Betriebe in der Region stellt sich die Existenzfrage. Die OVB-Heimatzeitungen sprachen mit der IHK-Vizepräsidentin für München und Oberbayern, Ingrid Obermeier-Osl, über die Situation der Wirtschaft in den Landkreisen Mühldorf und Altötting.
Wie ist die Stimmung in
der heimischen Wirtschaft?
Die Corona-Krise hat nicht nur den Arbeitsalltag bei den heimischen Unternehmen umfassend verändert, sondern stellt in einigen Branchen sogar Geschäftsexistenzen infrage. Umso mehr unterstützt die IHK den Lockerungs-Fahrplan, den die bayerische Staatsregierung beschlossen hat. Vor allem die Aufhebung der 800-Quadratmeter-Beschränkung im Handel sowie die Öffnung von Gastronomie und Hotels sind wichtige Schritte in Richtung Normalisierung des öffentlichen und wirtschaftlichen Lebens – wenn auch unter weiteren Einschränkungen. Für viele Unternehmen ist jetzt die Hauptsache, wieder Umsätze machen zu können. Für die Wirtschaft ist natürlich entscheidend, dass der Konsum und Verbrauch trotz weiterhin geltenden Abstands- und Hygieneregeln wieder anspringt.
Welche Branchen leiden in den Landkreisen Mühldorf und Altötting ganz besonders unter der Corona-Pandemie?
In den Landkreisen Altötting und Mühldorf unterscheiden sich die Folgen der Corona-Krise kaum von anderen Regionen Oberbayerns. Die angeordneten Schließungen haben natürlich den stationären Einzelhandel, die Gastronomie und Hotellerie schwer getroffen. Außerdem spürten Unternehmen, die an internationalen Lieferketten hängen, die europäischen und weltweiten Auswirkungen der Pandemie. Nicht zu vergessen sind die Reisebüros, Reise- und Busunternehmen, Solo-Selbstständigen sowie der Event- und Cateringbereich, das Veranstaltungsgeschäft sowie die Freizeit- und Touristikwirtschaft.
Haben Sie schon Vorstellungen und Informationen über Betriebe, die diese schwere Zeit nicht überstehen werden?
Wie bereits erwähnt ist die Krise für zahlreiche Betriebe aus der Tourismusbranche und dem Veranstaltungsgeschäft existenzbedrohend. Dies gilt zum Beispiel für Beherbergungsbetriebe, die sich auf Konferenzen und Events spezialisiert haben. Die Umsatzrückgänge betragen teilweise bis zu 100 Prozent.
Der Staat muss hier aktiv werden, ansonsten drohen im hohen Maße Insolvenzen und Arbeitslosigkeit. Das Ausmaß ist derzeit noch nicht verlässlich absehbar. Aber es ist zu befürchten, dass wir in den nächsten Monaten eine größere Welle an Insolvenzen sehen werden. Und es steht außer Frage: Die Wirtschaft wird sehr lange brauchen, um sich wieder zu erholen.
Sind die Ausbildungsplätze in der Region gefährdet?
Eine regional-spezialisierte Prognose ausschließlich für unsere Region ist äußerst schwierig zu treffen, da in allen Landkreisen die Betriebe vor denselben Problemen stehen und die langfristigen Folgen der Corona-Krise für die Unternehmen derzeit noch nicht abzusehen sind. Die aktiven Ausbildungsbetriebe planen sehr vorausschauend für die Zeit nach der Krise und unternehmen alles, um ihre Azubis und Fachkräfte weiter zu beschäftigen. Die Unternehmen wissen, dass sie ihren top qualifizierten Fachkräftenachwuchs brauchen werden, wenn es wieder aufwärtsgeht. Deshalb verzeichnen wir derzeit noch keine signifikante Steigerung von Vertragsauflösungen im Ausbildungsbereich. Wir als Ausbilder und Verantwortliche hoffen und unternehmen alles uns derzeit Mögliche, damit es dabei bleibt.
Sind die staatlichen Hilfen schnell und unbürokratisch bei den heimischen Firmen angekommen?
Die Staatsregierung hat sehr früh mit einem milliardenschweren Hilfsprogramm auf die Sorgen der Wirtschaft reagiert und war damit Vorreiter in Deutschland. Natürlich ist die für die Region zuständige Regierung von Oberbayern aufgrund der großen Antragswelle überlastet und so hören auch wir immer wieder von Unternehmen, dass es länger dauern kann, bis das Geld eintrifft. Insofern sieht die IHK die von Hubert Aiwanger vorgelegten Zahlen für Bayern mit 250000 bearbeiteten Anträgen und ausgezahlten 1,5 Milliarden Euro als hoffnungsvolle Zwischenbilanz. Aus der Praxis hören wir teilweise auch negative Erfahrungen in puncto langsamer und bis dato nicht erfolgter Auszahlung der beantragten Soforthilfe oder des Kurzarbeitergeldes. Wir setzen deshalb darauf, dass es nun zügig zum Abschluss aller Antragsverfahren kommt.
Wie kann die IHK ihren Mitgliedsbetrieben helfen?
Die IHK hat schon ganz zu Beginn der Pandemie auf einer eigenen Webseite einen umfangreichen Ratgeber für Unternehmen und Arbeitgeber online gestellt. Dort finden sich unter anderem Informationen zu staatlichen Soforthilfen, zur Kreditabsicherung, Steuerstundung und Kurzarbeit, zu betrieblichen Präventionsmaßnahmen sowie Managementempfehlungen. Zuletzt haben täglich rund 2000 Nutzer die Webseite aufgerufen. Darüber hinaus haben wir eine Corona-Hotline eingerichtet, bei der unsere Mitgliedsunternehmen anrufen können und eine persönliche Telefonberatung bekommen. Außerdem tauschen wir uns als IHK regelmäßig mit den anderen Wirtschaftsorganisationen im Landkreis und im Freistaat aus. Die Sorgen und Nöte der Unternehmen bringen wir dann auch vor Ort gegenüber dem Landrat und den Bürgermeistern zur Sprache. Noch wichtiger ist in diesem Fall unser ständiger Kontakt mit Ministerien und insbesondere auch der Staatskanzlei und Ministerpräsident Söder – wo die Interessen auch der regionalen Wirtschaft direkt an den Mann gebracht werden.
Welche konkreten Forderungen haben Sie an die Politik?
Das Coronavirus wird noch lange unseren Alltag und das Wirtschaftsleben bestimmen, deswegen fordern wir auch zukünftig von der Politik schnellstmögliche Perspektiven für unsere vorwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region. Nach dem Einzelhandel können jetzt endlich auch Gastronomie, Tourismus und Hotellerie wieder planen und hoffentlich bald mit ersten Umsätzen seit Wochen rechnen. Solche Fahrpläne, wie sie die bayerische Staatsregierung zuletzt beschlossen hat, sind wichtig für Planungssicherheit in puncto Personal und Liquidität. Wir fordern deshalb auch für weitere Branchen ähnliche Stufen-Pläne. Wichtig ist, dass die zuständigen Ministerien den Betrieben ihre Vorgaben in der praktischen Umsetzung auch erläutern. Für alle Unternehmen ist diese Situation neu und deshalb brauchen sie alle Unterstützung, damit die Notwendigkeiten in der Praxis gesetzeskonform vollzogen werden können. Auch viele langjährige EU-Mitarbeiter örtlicher Unternehmen wissen bei den täglich sich ändernden Verordnungen der einzelnen Länder und Staaten nicht, wie ihre Perspektiven bei Heimreisen sind. Hier bedarf es aus meiner Sicht viel mehr einheitliche Richtlinien und große Aufklärung vonseiten der Staatsregierung. Natürlich braucht es für eine erneute Wirtschaftsankurbelung auch Investitionen in die Zukunft und den Konsum. Dazu zählen die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur, Ausbau der Digitalisierung, Abbau von Bürokratie, rasche Unternehmenssteuersenkungen und niedrigere Strompreise. Außerdem fordern wir vom Staat, den Arbeitsmarkt und das längst veraltete Arbeitszeitengesetz zu flexibilisieren, damit Arbeitssuchende schnell neue Arbeitsplätze finden und andererseits Flexibilität, die jetzt bei den Unternehmen und Mitarbeitern besonders gefragt ist, auch in den Unternehmen umgesetzt werden kann. Es muss vonseiten der Politik in dieser schwierigen Zeit alles getan werden, damit insbesondere unsere kleinen und mittelständischen Familienunternehmen motivierte Fachkräfte nicht verlieren, denn diese Leute sorgen als Mitarbeiter und Konsumenten dafür, dass es nach der Krise besonders in der Region wieder bergauf geht, da bin ich überzeugt.
Interview: Josef Bauer