Mühldorf/Waldkraiburg – Die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen hinterlassen tiefe Spuren im Wirtschaftsleben ebenso wie im Privatbereich eines jeden Bürgers. Wie sich die Situation für Arbeitnehmer darstellt, dazu nimmt im Interview Mühldorfs DGB-Kreisvorsitzender Richard Fischer Stellung.
Wie viele Arbeitnehmer im DGB-Kreis Mühldorf sind infolge der Corona-Krise von Kurzarbeit betroffen?
Betroffen sind 48 Betriebe und rund 1800 Beschäftigte, Tendenz steigend. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht voraussehbar, wie groß die Steigerungen sein werden.
Wie viel Prozent aller Arbeitnehmer im Kreis entspricht das?
Das sind etwa 4,5 Prozent bei über 40000 sozialpflichtig Beschäftigten, die im Landkreis wohnen und teilweise auch außerhalb arbeiten. Darin eingerechnet sind Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte usw. Die Zahlen stammen vom April.
Wie lauten die entsprechenden Zahlen für Entlassungen infolge der Krise?
Zum derzeitigen Zeitpunkt kann man das noch nicht genau benennen. In den Betrieben werden durch Sonderregelungen, Urlaub, Kurzarbeit usw. Zeiten überbrückt. Es gibt aber vereinzelt Entlassungen in kleinen Unternehmen.
Wie stark ist der Kreis aufgrund seiner Unternehmensstruktur von der Corona-Krise insgesamt betroffen?
Dienstleistungen und Industrie sind stark betroffen, die Zukunft wird genaue Zahlen zeigen.
Wie sehen die Prognosen hinsichtlich der Beendigung der Kurzarbeit bzw. von Entlassungen aus?
Entscheidend wird die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen sein. Kurzarbeit wird langfristig ein Mittel sein, um Entlassungen zu vermeiden.
Wie schätzen Sie die Zahl der Unternehmen im Kreis ein, die trotz Staatshilfen langfristig Konkurs anmelden müssen?
Die Bundesregierung hat ein einzigartiges Hilfsprogramm aufgelegt: 350 Milliarden Euro mit einer Garantie bis zu 485 Milliarden Euro. Bisher haben die Unternehmen und Betriebe einiges getan, um die Beschäftigungen zu sichern. Wir werden sehen, ob das ausreicht. Wir sitzen alle in einem Boot.
Wie viele Arbeitsplätze würden dadurch verloren gehen?
Die Dimension ist nicht vorstellbar, wenn es eine neue Wirtschaftskrise gibt.
Wie gestalten sich die Folgen der Kurzarbeit für die Arbeitnehmer im privaten Bereich, vor allem hinsichtlich von Zahlungsverpflichtungen bzw. Dispokrediten?
Das ist für viele Arbeitnehmer ein Problem. Anschaffungen, Urlaub usw. können nicht finanziert werden. Die Aussetzung von Kreditzahlungen ist nicht immer möglich. Eine mögliche Entlastung wären Mietstundungen.
Wie beurteilen Sie die staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen?
Die Fördermaßnahmen müssen wir positiv sehen. Auch die Anhebung des Kurzarbeitergelds ist ein positives Zeichen. In manchen Bereichen, zum Beispiel bei Steuerbelastungen der Arbeitnehmer, sollte noch nachgebessert werden. Zuzahlungen zum Kurzarbeitergeld vonseiten der Unternehmen sollten steuerfrei gestaltet werden. Im kommunalen Bereich ist Unterstützung notwendig, um Aufgaben der öffentlichen Hand erfüllen zu können.
Wie glauben Sie, dass diese Ausgaben refinanziert werden könnten?
Durch neue Kreditaufnahmen. Stärker zur Kasse gebeten werden sollten diejenigen, die viel Geld besitzen. Wirtschaftskriminalität muss stärker bestraft werden.
Wie lange wird es Ihrer Einschätzung nach dauern, bis im Kreis die Situation von Unternehmen und Arbeitnehmern wieder auf dem Stand wie vor der Corona-Krise sein wird?
Wahrscheinlich zwei bis vier Jahre, abhängig davon, wie der Wirtschaftskreislauf wieder anspringt und auch auf europäischer Ebene und weltweit funktioniert.
Was kann der DGB im Kreis unternehmen, um die Situation der Arbeitnehmer zu entschärfen bzw. sicherer zu machen? Gibt es diesbezüglich Gespräche mit Betrieben?
Gewerkschaften können durch die Tarifpolitik Einfluss nehmen, um Arbeitsplätze zu sichern, beispielsweise durch Verringerung der Arbeitszeit, Arbeitsplatzsicherungsklauseln und Ausnutzung der Kurzarbeit. Auch Betriebs- und Personalräte können durch Gespräche mit den Arbeitgebern dazu beitragen, dass Entlassungen und deren Auswirkungen vermieden werden können. Überstundenabbau, Schichtsysteme, Arbeitsmodelle, Kurzarbeit – alles ist vor Ort regelbar. Die Betriebsräte und Personalräte sind ein wichtiger Bestandteil der Demokratie. Es ist bedauerlich, dass man nur bei Schwierigkeiten und in Krisenzeiten erkennt, wie wichtig Betriebsräte und Personalräte sind. Im Vordergrund steht immer der Erhalt des Arbeitsplatzes und des Betriebes. INterview FRank Bartschies