Chiemsee statt Türkei

von Redaktion

Interview Chiemgau-Tourismus-Chef Stephan Semmelmayr über Zeit nach Lockdown

Traunstein – Stephan Semmelmayr, Geschäftsführer des Chiemgau Tourismus, hat eigentlich einen schönen Job. Denn dazu gehört es, in einer der schönsten Landschaften Deutschlands herumzureisen. Weniger angenehm waren die vergangenen Monate: Coronabedingt mussten die vom Tourismus abhängigen Betriebe eine lange Durststrecke überstehen. Inzwischen scheint sich die Lage zu bessern, erklärt Semmelmayr im Gespräch mit der Chiemgau-Zeitung.

Die Vorhersagen, dass der Großteil der Deutschen den Sommerurlaub im Lande verbringt, scheinen sich zu bewahrheiten. Wie läuft das Geschäft im Chiemgau?

Ein Teil unserer Gastgeber ist sehr zufrieden, vor allem diejenigen, die Ferienwohnungen vermieten, oder auch die Campingplatzbetreiber und Anbieter von Urlaub auf dem Bauernhof. In ihren „eigenen vier Wänden“ fühlen sich die Gäste im Moment einfach am wohlsten. Das ist nachvollziehbar, aber trotzdem würden wir uns für unsere Hotels und Pensionen wünschen, dass die Gäste ihr Vertrauen zurückgewinnen und ihre Zurückhaltung aufgeben. Manche Häuser haben noch nicht die Buchungslage, die sie für einen rentablen Betrieb bräuchten, und das ist nach Monaten fehlender Einkünfte natürlich schwierig.

Aber insgesamt bestätigt sich der Trend?

Der Trend zum Urlaub im eigenen Land bestätigt sich, denn die Erholungssuchenden haben ja im Augenblick noch nicht allzu viele Alternativen. Darüber freuen wir uns natürlich und hoffen, dass wir den einen oder anderen Gast, der eigentlich in die Türkei wollte, vom Chiemgau überzeugen und als Stammgast gewinnen können.

Woran liegt es, dass es so gut läuft?

Wir setzen seit Jahren darauf, den Chiemgau konsequent als Rad- und Wanderdestination zu vermarkten und weiterzuentwickeln – siehe Premium-Wanderregion. Damit haben wir erreicht, dass die Menschen eine Verknüpfung herstellen im Sinne von „Wandern: Chiemgau“.

Sie haben vor Kurzem eine neue Werbekampagne für den Chiemgau namens „ChiemNow!“ gestartet. War die also vielleicht gar nicht nötig?

Die Kampagne läuft jetzt in den Social-Media-Kanälen an, aber noch ohne „Druck“. Erst im Herbst werden wir die angekündigten 100000 Euro investieren, um Gäste für einen Urlaub im Oktober und November zu gewinnen. Unsere Gastgeber brauchen diese zusätzlichen Wochen, um Einkünfte nachzuholen und ihre Betriebe abzusichern. Wir brauchen unsere Hotels, Gasthöfe und Pensionen, auch um den Wohlstand in der Region abzusichern, und die brauchen unsere Unterstützung. Die Kampagne ist somit sehr nötig!

Welche Strategie steckt denn dahinter?

Wir setzen auf schöne Bilder mit der unverkrampften Aufforderung, in den Chiemgau zu kommen – eben „ChiemNow!“. Je öfter die Nutzer unsere Bilder in den Medien sehen, umso mehr prägen wir uns ein. Was uns sehr freut, ist, dass bereits viele unserer Partner in der Region aufgesprungen sind und die vorbereiteten Schriftzüge und Grafiken einsetzen.

Ist die Kampagne denn nicht leicht zu kopieren?

Na ja, es gibt ja nicht so viele Regionen, auf die sich „now“, also ausgesprochen „nau“ so schön reimt wie auf Chiemgau! Eins steht aber fest: Alle Destinationen gehen jetzt in die Werbe-Offensive. Der Wettbewerb ist hart, möglicherweise noch härter als zuvor. Umso mehr gilt es, durch eine kurze, prägnante Botschaft den Weg in den Hinterkopf unserer potenziellen Gäste zu finden.

Musste es denn unbedingt wieder auf Englisch sein?

Es sollte vor allem unverkrampft und prägnant sein. Dass die Endsilbe bei uns „gau“ heißt und nicht etwa „gäu“, hat uns die Suche nach einem Claim erleichtert. Vor allem in den Sozialen Medien ist es absolut gang und gäbe, sich am Englischen zu bedienen, und man darf auch ein gewisses Grundverständnis voraussetzen. Und was das Thema Anglizismus im Allgemeinen angeht: Wer durch unsere Dörfer fährt, sieht Lokale, Friseursalons, Agenturen und Läden mit englischen oder italienischen Namen. An manchen Türklinken hängt das Schild „Come in, we’re open“. Daran stört sich niemand.

Schließen Sie mit „ChiemNow!“ nicht bestimmte Teile der Bevölkerung aus?

Diese Befürchtung haben wir nicht, es sei denn, man bewertet die Fokussierung auf ausgewählte Zielgruppen als böswilligen Ausschluss der anderen. Dann müsste aber das Marketing von ganz unten neu gedacht werden.

Interview: Martin Tofern

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