Schnaitsee – Ein tiefes Brüllen ist von der hoch eingezäunten Weide zu hören. Dreimal stößt das Männchen ein brummiges „Roar“ aus. „Der klingt wie ein Löwe, ist aber unser Zuchthahn“, sagt Marcus Scherr schmunzelnd. Dabei ist ihm derzeit wenig zum Lachen zumute. „In Deutschland ist Tierhaltung zur Fleischerzeugung nicht so erwünscht. Die Vorschriften machen die Sache unrentabel“, so der 39-Jährige, der den „Straußenhof Chiemgau“ mit seiner Frau Ramona und seinen Eltern Josef und Maria betreibt – inzwischen seit zwei Jahren im Vollerwerb.
Früher züchteten seine Eltern hier Rinder. Marcus Scherr wollte den Hof wiederbeleben. Rund 300000 Euro investierte er eigenen Angaben zufolge in die Zucht des afrikanischen Straußes als Fleischlieferant. „Da ist auch das neue Schlachthaus dabei, das wir in fünf Wochen in Betrieb nehmen, sobald das EU-Zertifikat da ist“, so Scherr. Der Umsatz im vergangenen Jahr betrug nach seinen Angaben rund 200000 Euro.
Kritik an den
Übergangsfristen
Derzeit steht der Direktvermarkterhof vor der Entscheidung, ob die Straußenhaltung Zukunft hat. Die vielen Vorschriften verhageln die Freude an der Arbeit. Und zwingen die Betreiber nach eigenen Angaben, sich zu fragen, ob sie sich vergrößern, dabei den Bestandsschutz verlieren – oder langsam wachsen und Gefahr laufen, „dass uns das Geld ausgeht. Die Kosten können wir schlecht auf den Preis umlegen, das zahlt der Kunde ja nicht.“
Ständig kämen neue Regelungen hinzu. „Es gibt keine Planungssicherheit“, klagt Scherr. Er hat zu tun mit den Vorgaben des Tierschutzgesetzes, mit der Tierschutz-Nutztierverordnung und – weil der Strauß ein Wildtier ist – benötigt er eine tierschutzrechtliche Erlaubnis. Dazu kommen sämtliche Richtlinien, die die Landwirtschaft generell betreffen.
„Ich habe Verständnis für den Frust der Bauern bezüglich dieser Planungsunsicherheit“, sagt Hans Zens, Bereichsleiter Landwirtschaft am Amt für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten (AELF) in Traunstein. Andererseits sehe er natürlich die Notwendigkeit, dass sich etwas tun müsse in der Landwirtschaft. „Heute gibt es eine Sensibilisierung hin zur Kreislaufwirtschaft und hin zum Tierwohl. Die Haltungsformen sind im Umbruch. Zum Beispiel ist der Kastenstand für Schweine stark in der Kritik. So kommen immer mehr Auflagen zusammen – und gleich noch die Änderungen der Auflagen“, erklärt Zens. „Der Staat wird durch Förderungen behilflich sein, weil die Umstellung sein muss, aber oftmals wirtschaftlich nicht leistbar ist“, so der Behördenvertreter.
Er hat sich mit Scherr unterhalten. „Der Mann fängt 2012 mit seiner Zucht an, hält sich an die Vorschriften, dann kommt 2019 ein neues Konzept für die Straußenhaltung raus – und alles ist anders“, sieht Zens ein. Die Übergangsfristen seien meist auf acht Jahre ausgelegt. „Der Tierschutz sagt: Um Gottes willen, so lange. Der Bauer sagt: Hilfe, so wenig Zeit.“ In acht Jahren habe sich die Investition eines Landwirtes noch lange nicht amortisiert. „In der Landwirtschaft werden Investitionen wie etwa für einen Stall auf 20 oder 25 Jahre abgeschrieben, nicht wie in Industrie und Handwerk, wo man von sieben Jahren ausgeht“, so der AELF-Vertreter.
Angefangen hat Scherr 2012 mit drei Tieren, inzwischen ist er bei 150 Straußen angelangt. Ein Kilo Straußenfleisch koste 49 Euro, ein Zuchthahn habe den Wert von rund 1300 Euro. Pro Jahr könne eine Straußenhenne rund 100 Eier legen. Scherr reduziert die Legeleistung auf 50 bis 60 Eier pro Saison. „Wir wollen die Tiere nicht überfordern.“
Die derzeit ein Hektar große Weide könnte auf zwei erweitert werden. Pro Hektar seien laut neuester Leitlinien des Bundeslandwirtschaftsministeriums 90 Tiere erlaubt. Farmer Scherr kritisiert, dass die Belange der Halter zu wenig Beachtung im „Gutachten über die Mindestanforderung an die Haltung von Straußen, Nandus, Emus und Kasuaren“ fänden. Es wurde über drei Jahre von Tierärzten, Tierschutzverbänden und Halter-Organisationen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entwickelt und 2019 veröffentlicht. Die Veterinärämter sind die zuständigen Behörden vor Ort, wie Dr. Jürgen Schmid, Leiter des Veterinäramtes Traunstein, erklärt. Er weist darauf hin, dass die Vorgänger-Version aus dem Jahr 1994 stammt. „In der Neufassung wurde geregelt, dass bei strengeren Anforderungen an die Haltung Übergangsregelungen und angemessene Fristen, zugeschnitten auf den jeweiligen Betrieb, festgelegt werden sollen“, so der Veterinärmediziner.
Neues Leben entsteht
im „Hauptbrüter“
Scherr erklärt beim Hofrundgang, sobald er sein Farmkonzept nach den neuen Linien verändere, erlische der Status seines Altbestandes. Der Hof bräuchte dann ein größeres Gehege, aber einen kleineren Stall, mehr Auslauf und weniger Tiere. Um die Zucht rentabel zu betreiben, „müsste ich ganz Schnaitsee einzäunen, um es überspitzt zu sagen“. Auf seinem Hof entsteht gerade neues Leben. Im Schlupfbrüter kämpft sich ein Küken durch die dicke Schale. In computergesteuerte Hauptbrüter liegen die Eier, gepolstert durch Spülschwämme. „Gegen die Erschütterung, damit der Embryo nicht geschädigt wird“, erklärt der 39-Jährige.
Mit seinem Verkaufsauto ist der Straußenhof auf den Märkten in München vertreten. Deutschlandweit verschickt Scherr die Straußenfleisch-Produkte in isolierten Paketen per Post – außer bei großer Hitze. Corona habe nicht geschadet. An seinem Selbstbedienungsladen seien die Leute in Schlangen angestanden.