Übersee – Als eines der wachstumsstärksten mittelständischen Unternehmen in Bayern wurde Aircraft Philipp (ACP) 2016 vom bayerischen Wirtschaftsministerium mit dem Prädikat „Bayerns Best 50“ ausgezeichnet. Die inhabergeführte Unternehmensgruppe mit Standorten in Übersee am Chiemsee und Karlsruhe, die sich mit einbaufertigen Metallteilen für die Luft- und Raumfahrtindustrie einen Namen gemacht hat, kannte jahrelang nur einen Trend: aufwärts. Dann kam Corona und zwang die erfolgsverwöhnte Luftfahrtbranche in die Knie.
Kreditklemme
der Banken
Speziell für die Zulieferindustrie wurden nach dem Rekordjahr 2019 heuer aufgrund des coronabedingten Auftragsschwunds und der Kreditklemme der Banken schnell die Mittel knapp. „Kommt jetzt keine staatliche Hilfe, werden die kleineren und mittleren Unternehmen der deutschen Luftfahrtbranche sterben“, sagte Rolf Philipp Anfang Juli in einem Bericht der Wirtschaftswoche. Der Chef von ACP ist zugleich Mittelstandsbeauftragter des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie.
Mit einer strategischen Partnerschaft hat sich ACP jetzt als eines der europaweit führenden Zerspanungsunternehmen für die Zukunft aufgestellt. Wie dieser Tage bekannt wurde, hat der größte österreichische Aluminiumkonzern Austria Metall AG (AMAG), der in der Gemeinde Braunau am Inn ansässig ist, einen Anteil von 70 Prozent an ACP übernommen.
Wie die Innviertler in einer Pressemitteilung erklärten, soll ACP als eigenständiges Unternehmen innerhalb der Gruppe weitergeführt werden. 30 Prozent der Anteile verbleiben beim bisherigen Eigentümer Rolf Philipp. Dieser wird sich als Geschäftsführer um die weitere strategische Entwicklung im Bereich Luftfahrt kümmern.
Ziel des Zusammenschlusses sei die „Gestaltung einer nachhaltigen Wertschöpfungskette durch Kombination der Vormaterialherstellung und des Recyclings bei der AMAG mit der mechanischen Bearbeitung bei ACP“, heißt es in der aktuellen Pressemitteilung.
Neben den ausgewiesenen Kompetenzen in den Bereichen Walzen, Gießen und Recycling erweitert die international agierende AMAG ihr Portfolio durch den Zusammenschluss mit ACP in Richtung der mechanischen Bearbeitung wie Fräsen und Bohren sowie die Herstellung von Spezialkomponenten aus Aluminium und Titan.
Weiter verbessert werden soll ebenfalls die ressourcenschonende Wiederaufbereitung durch geschlossene Materialkreisläufe, das sogenannte Closed-Loop-Recycling, von Plattenabschnitten und Spänen, die im Fräsprozess anfallen. Optimiert werden soll ergänzend das Gewichtsverhältnis zwischen eingekauftem Material und dem daraus produzierten Endprodukt, die sogenannte Buy-to-Fly-Ratio. Weiteres Ziel sei eine effizientere Logistik entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Beide Unternehmen arbeiten seit einigen Jahren zusammen. Aus dem Innviertel wurde bisher bereits gewalztes Halbzeug nach Bayern geliefert, in die andere Richtung waren es Späne aus Aluminium. Neben dem vergrößerten Leistungsangebot erschließen sich beide Unternehmen durch den Zusammenschluss auch neue Märkte und Anwendungsgebiete.
Lag der Schwerpunkt bei ACP mit Kunden wie Boeing, Airbus und Bombardier bisher im Luft- und Raumfahrtbereich, so beliefern die Innviertler mit Aluminiumguss- und -walzprodukten auch die Sportartikel-, Beleuchtungs-, Maschinenbau-, Bau- und Verpackungsindustrie.
„Wir verlängern die Wertschöpfungskette zum Nutzen unserer Kunden“, erklärt Gerald Mayer, CEO der Austria Metall AG zum Zusammenschluss. Der Abschluss der Transaktion wird für den Spätherbst erwartet. Erzielte ACP im Jahr 2019 mit rund 200 Mitarbeitern einen Umsatz von 50 Millionen Euro, so verzeichnete die AMAG im letzten Jahr mit knapp 2000 Beschäftigten einen Umsatzerlös von rund einer Milliarde Euro.
Nach dem coronabedingten Sturzflug der Luftfahrtbranche, erklärte Rolf Philipp gegenüber unserer Zeitung, sei es für die ACP gerade als mittelständisches Unternehmen wichtig, „sich auf einen durchgebeutelten Markt anzupassen und mit einem finanzstarken Partner langfristig und stabil aufzustellen, um diese Krise mit Durchhaltevermögen zu meistern“. Von den Kunden habe es bereits viel positives Feedback gegeben. In jedem Fall sei die aktuelle Phase alles andere als einfach: „Die Zeit drohender Insolvenzen ist gerade erst angebrochen“.