Hotellerie von Existenzängsten geplagt

von Redaktion

Interview Thomas Jahn, Kurdirektor Bad Aibling, über Verluste, Frust und Hoffnung

Karin Freiheit (61)

Vorsitzende Tourismusverein Bad Feilnbach

Unsere bayerische Wirtshaustradition steht auf dem Spiel. Mit hohem Aufwand wurden die Corona-Maßnahmen umgesetzt und gelernt, mit Restriktionen zu leben. Mit viel Mühe gelang es im Sommer, die Verluste auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Der erneute Lockdown wird unsere Hoteliers, Vermieter und Gastwirte schwer treffen, einige zum Aufgeben zwingen und den Tourismus in Bad Feilnbach langfristig beschädigen. Dieser ist aber unser wichtigster Wirtschaftszweig. Die Gemeinde wird massiv in ihrer Existenz bedroht. (Auszug aus einem Brief an die DEHOGA Bayern vom 29.Oktober2020)

Christina Pfaffinger (52)

Geschäftsführerin Chiemsee- Alpenland-Tourismus

Die Situation ist nach wie vor unbefriedigend in unserer Region, zumal hier etwa 13000 Arbeitsplätze vom Tourismus abhängig sind. Wir hatten von Januar bis September rund 593000 Übernachtungen weniger in der Urlaubsregion Chiemsee-Alpenland als im gleichen Zeitraum des Vorjahres; das entspricht einem Minus von 30 Prozent. Für Camping, Kleinvermieter und Urlaub auf dem Bauernhof verlief die Sommersaison etwas positiver. Für die großen Hotelbetriebe, die unter anderem auch stark von Tagungen, Gruppen- oder Gesundheitsreisen abhängig sind, war es bislang ein Desaster.

Theresa Albrecht (52)

DEHOGA Bayern

Kreisvorsitzende Rosenheim

Laut einer Umfrage unseres Verbands DEHOGA Bayern haben über 70 Prozent der Mitglieder große Existenzängste. Im Landkreis Rosenheim gibt es einige Betriebe, die de facto insolvent sind. Der ländliche Bereich hat im Sommer zwar vom Tourismus profitiert, aber die Probleme nehmen zu, auch in den Städten. Nicht nur coronabedingt. Hotels und Vermieter hatten bei uns bislang von der Nähe zu München profitiert. Die Stadt wie auch Rosenheim haben allerdings in den vergangenen Jahren ihre Bettenzahlen drastisch erhöht in dem Preissektor, den der ländliche Bereich bedient hat. Das wird Auswirkungen haben.

Bad Aibling – Im Sommer gab’s nach Aufhebung des coronabedingten Lockdowns auch im Landkreis Rosenheim einen Gästeboom: Unsere Region – vor allem der Chiemsee-Bereich – wurde von Urlaubern regelrecht überrannt. Das Beherbergungs- und Gastgewerbe konnte zwar wieder Einnahmen generieren, aber nicht die Verluste aus den Schließungen im Frühjahr ausgleichen. Jetzt musste das öffentliche Leben aufgrund der hohen Infektionszahlen erneut massiv eingeschränkt werden. Über die Auswirkungen in der Kur-stadt Bad Aibling sprachen die OVB-Heimatzeitungen mit Kurdirektor Thomas Jahn.

Wie haben Sie die touristische Situation für die Kurstadt beobachtet?

In Bad Aibling haben wir mit den Kliniken und großen Hotels eine spezielle Situation. Als nach dem Lockdown dann Ende Mai, Anfang Juni der Neustart kam, haben die Gäste zunächst nach kleinen Einheiten wie Ferienwohnungen oder Urlaub auf dem Bauernhof gesucht. Die konnten wir nicht wie andere Kommunen zur Verfügung stellen, deswegen hat es in Bad Aibling etwas gedauert, bis es mit den Buchungen auch hier losging. Aber ab Ende Juni ging es sehr gut aufwärts, wir hatten gute Zahlen in den Hotels und Betrieben zu verzeichnen…

…dann drohte der zweite Lockdown…

…ja, aber zunächst lief es so bis Ende September, Anfang Oktober, genau bis zu dem Tag, als das Beherbergungsverbot ausgesprochen wurde. Das war der Moment, in dem die vielversprechenden Buchungen, die wir noch hatten, sofort hinfällig waren.

Haben Sie die Kurstadt-Gäste nach Hause geschickt, so wie in anderen Urlaubsmetropolen geschehen?

Nein, wir haben das geordnet gemacht, wir hatten schon 14 Tage vor dem erneuten Lockdown dieses Beherbergungsverbot auf dem Tisch, um das vorab ewig hin und her gestritten worden war. Wir haben die Gäste, die noch da waren, informiert und dann sozusagen geordnet und friedlich nach Hause geschickt. Gäste, die aus medizinischen oder beruflichen Gründen bei uns sind, dürfen natürlich weiterhin hierbleiben.

Wie macht sich die Situation in Zahlen bemerkbar?

Mir liegen noch nicht alle aktuellen Zahlen vor. Aber so weit, um ein Bild zu bekommen: Bei den kurbeitragspflichtigen Gästen hatten wir mit Stand 30. Oktober bei den Ankünften ein Minus von 14 Prozent, bei den Übernachtungen ein Minus von 33 Prozent. Im beitragsfreien Bereich mussten wir im Zeitraum von Januar bis September bei den Gästen ein Minus von 45 Prozent hinnehmen, bei den Übernachtungen minus 42 Prozent. In absoluten Zahlen: Bei den Übernachtungen verzeichnen wir bislang knapp 161000, im Vorjahresvergleich waren es fast 280000 Übernachtungen. Diese Zahlen beziehen sich auf Hotels wie auch auf Privatvermieter.

Was ist mit den Kliniken?

Ein erheblicher Anteil dieser Minuszahlen bezieht sich natürlich auf die Kliniken. Im kurbeitragspflichtigen Bereich fehlen uns im genannten Zeitraum etwa 77000 Übernachtungen, davon sind rund 61000 klinikbezogen. Das ist eigentlich dreifach bitter. Zum einen, weil uns als Kommune die Einnahmen fehlen, zum anderen, weil diese Gäste natürlich auch in der Stadt im Einzelhandel, im Dienstleistungssektor und in der Gastronomie konsumieren. Und der dritte Negativ-Faktor, auf dem ich seit Monaten schon herumreite – weil er mich auch persönlich ärgert – ist die blinde Fokussierung auf Corona, durch die Hunderttausende von Menschen vernachlässigt werden, die gesundheitsbedingt dringend medizinische Therapie brauchen. Denn die coronabedingten Auflagen schränken den Betrieb unserer Kliniken ein. Unsere Rehabilitationskliniken hatten über Jahre hinweg nahezu immer eine volle Auslastung, jetzt können wir sie nur noch mit etwa 60 Prozent fahren.

Interview: Ulrich Nathen-Berger

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