Nachgefragt bei Recipharm-Geschäftsführer Michael Isele

Wegbereiter für neuen Impfstoff

von Redaktion

Recipharm aus Wasserburg ist an der Produktion eines weiteren Covid-Vakzins beteiligt

Michael Isele

Geschäftsführer

Wasserburg – Recipharm Wasserburg positioniert sich im Kampf gegen Corona als Partner des Verbandes „Forschender Arzneimittelhersteller e.V.“. Im Bestreben, mittels Impfstoffherstellung die Pandemie in den Griff zu bekommen, wird das Wasserburger Arzneimittelwerk auf der Kontaktplattform „vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen“ neben großen Namen wie Biontech, Bayer oder Curevac als „mitwirkender Standort“ geführt. Das Know-how in der Gefriertrocknung spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Jedes Rädchen bei der Herstellung wichtig

„Recipharm ist eine wichtige Firma für uns“, sagt Dr. Jochen Stemmler, Pressesprecher der vfa. „Es gibt kein Klein und kein Groß bei der Impfstoffherstellung.“ Wer weltweit beteiligt sei und welche Kompetenzen habe, das zeige die Plattform. „Ein Vakzin besteht aus deutlich mehr als 80 Bestandteilen und Zutaten, die müssen zusammengeführt werden. Das sind viele Einzelschritte und niemand hat alle Kompetenzen“, so Stemmler. Deutschland sei in einer privilegierten Lage, „weil wir fast alle Komponenten in nationaler Nachbarschaft“ haben. Natürlich arbeite man in der Forschung global zusammen, jedoch mache es die Sache einfacher, wenn die Wege kurz seien.

Im Januar hat Recipharm die Zulassung zur Impfstoff-Produktion erhalten. „Die Zukunft für pharmazeutische Unternehmen liegt im Bereich Biologics, wo mit Mitteln der Biotechnologie und gentechnisch veränderten Organismen hergestellt wird. Dazu gehören auch Impfstoffe“, erklärt Michael Isele, Geschäftsführer am Recipharm-Standort Wasserburg.

Vertragspartner ist ein amerikanisches Arzneimittelunternehmen im klinischen Stadium. Das Start-up hat sich bei Recipharm Produktionsslots gesichert, um die Herstellung eines eigenen Covid-19-Impfstoffkandidaten zu ermöglichen. Dieser befinde sich in einer laufenden klinischen Phase-1/2-Studie. Das Ganze sei noch nicht „medienreif“, so Isele. Er rechnet mit einer Zulassung in den ersten Ländern spätestens im vierten Quartal dieses Jahres. „Ist es so weit, beliefern wir exklusiv. Wir können im Monat allerdings nur etwa eine Million gefüllte Vials anbieten.“ Damit sind die Injektionsfläschchen gemeint, in denen der Impfstoff aufbewahrt wird.

Thomas Eldered, CEO von Recipharm mit Hauptsitz in Schweden, sagt in einer Presseerklärung, das Unternehmen habe viel Erfahrung beim Managen komplexer biologischer Projekte. „Wir sind ideal positioniert, um von frühen Forschungsphasen bis zur erfolgreichen Vermarktung mitzuwirken.“ Ab sofort ist die schwedische Firma, die weltweit rund 6000 Mitarbeiter – davon 350 in Wasserburg – beschäftigt, also auch in die Produktion von Covid-19-Impfstoffen involviert.

Durch die große Nachfrage an Covid-Vakzinen öffnet sich ein neues Spektrum. Denn Impfstoffe an sich waren in der Vergangenheit für Pharmaunternehmen wenig von Interesse, da es gegen die meisten Krankheiten bereits Vakzine gibt. „In einer Pandemie aber, in der etwas Unbekanntes auf uns zurollt, werden die Karten neu gemischt“, sagt Isele im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen.

Worauf sich die Wasserburger Firma seit Anfang 2021 fokussiert, ist das Feld der Biopharmazeutika (Biologics), die sich mit noch unbekannten und neuen Erkrankungen beschäftigen. Forschung indes betreibt Recipharm generell nicht.

„Nur die ganz großen Player können sich den Luxus leisten, zu forschen“, stellt Isele klar. Recipharm unterstützt die Herstellung von Impfstoffen, die in größeren Mengen benötigt werden und in der ersten klinischen Studie schon getestet sind.

Hier kommt der Begriff „Scale up“ (siehe Kasten) ins Spiel, wie Isele erklärt: „Die Frage, die sich hier stellt, ist, wie klinische Impfstoffe, die die drei notwendigen Studien überstanden haben, von einem kleinen Herstellvolumen in ein so großes ausgeweitet werden können, dass in schnellem Tempo Mengen in Millionenhöhe hergestellt werden können.“

Am Ende müssen laut Isele für die gesamte Menschheit vergleichbare Ergebnisse vorhanden sein, damit das Mittel auch zur Anwendung kommen kann. Zwischen den Phasen der klinischen Studie zwei und drei, aber auch in die kommerzielle Herstellung ist Recipharm involviert.

Trocknung bei
-20 Grad ist schonend

„Wir erhalten vom Kunden die Lösung, die wir in entsprechende Vials abfüllen. Es wird untersucht, ob das drin ist, was drin sein soll, und zurückgeschickt, sodass der Kunde es für seine Studien und den Patienten verwenden kann“, erläutert Isele den Ablauf.

Eine Herausforderung dabei sei die Tatsache, dass diese Flüssigkeiten im Moment sehr tiefe Minustemperaturen brauchen, damit sie haltbar bleiben. Die Kernkompetenz der Wasserburger Firma: Sie hat sich auf die sogenannte Gefriertrocknung für fast 90 Prozent der Impfstoffe spezialisiert.

Bei -20 Grad sei die Trocknung Isele zufolge sehr schonend für das Produkt und führe dazu, dass es auch bei zwei bis acht Grad oder sogar bei Raumtemperatur stabil bleibe. Dies bringe bedeutende Vorteile mit sich: beim Transport der Dosis zum Kunden und Patienten.

„Neben der Covid-19-Impfstoff-Produktion kümmern wir uns weiterhin um Produkte, die ebenfalls am Markt gefragt sind. Im Moment machen wir etwa 20 unterschiedliche Medikamente für etwa 22 Kunden weltweit“, erklärt der Geschäftsführer.

„Ein Impfstoff ist auch ein Medikament“

Ist die Impf-Skepsis berechtigt, die viele Bürger haben?

Aber natürlich, Bedenken sind immer da – denn keiner weiß vorab, wie er drauf reagiert. Jeder muss selbst entscheiden können, ob er das Impfangebot annehmen möchte. Und auch wenn die Leute im Kopf gerne zwischen Medikament und Impfstoff unterscheiden: Für mich ist der Impfstoff auch ein Medikament.

Das Tempo bei der Herstellung der Covid-19-Impfstoffe steht in der Kritik...

Normalerweise werden für eine Entwicklung – egal, ob Impfstoff oder nicht – 18 Monate gerechnet, bis es zur Zulassung kommt. Die für die Zulassung zuständige Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), prüft täglich Forschungsergebnisse von etwa 100 Medikamenten. Das dauert, es sei denn man konzentriert sich nur auf die Pandemie. Die Großserienherstellung des Impfstoffes begann nach zwölf Monaten. So viel länger oder schneller war das nicht.

Ist das Tempo bei der Impfstoffherstellung auch eine Frage der finanziellen Verfügbarkeit?

In der Pandemie werden – zum Wohle aller – Finanzierungen bereitgestellt. Die ganze Entwicklung ist im Hinblick auf Ressourcen unglaublich teuer, geht aber auch schneller.

Können Sie etwas zur Zulassung sagen?

Hinter der Zulassung eines Stoffs, der injiziert wird, steckt eine strengere Prüfung und ein viel größerer, klinischer Testaufwand, als beispielsweise bei einer Kopfschmerztablette. Beim Impfstoff hingegen weiß zu Beginn keiner genau, welche Nebenwirkungen auftreten können. In zwei bis drei Jahren werden wir mehr wissen – wenn mehr Menschen geimpft sind. Im Vorfeld abgeklärt werden kann, dass es nicht toxisch ist. Das lässt sich durch Vergleichsforschungsergebnisse feststellen. Ebenso ist es ein Irrglaube, dass ein mRNA-Impfstoff die DNA verändert.

Wer ist Auftraggeber und wie funktioniert die Verteilung der Impfstoffe?

Im Moment wird die komplette Herstellung und Verteilung des Corona-Impfstoffes in Europa über die EU geregelt. Die Länder bestellen bei der entsprechenden Firma. Es gilt der Grundsatz: Wer als erstes bestellt, bekommt auch als erstes. Ansonsten wird versucht, alle Bestellungen, die eingehen, gerecht zu verteilen, denn so agieren wir.INTERVIEW: MARINA BIRKHOF

In drei Stufen zum Massenprodukt

Die Grundherausforderung unter dem Stichwort „Scale up“ (vergrößern, erweitern) basiert laut Michael Isele, Geschäftsführer am Standort Wasserburg des Unternehmens Recipharm, auf drei Stufen: Die erste ist die Entwicklung eines Impfstoffs zunächst in kleinem Maßstab in einem Labor. Es wird klinisch getestet – anfangs mit gerade einmal 30 bis 50 Patienten, die das Mittel verabreicht bekommen und beobachtet werden, ob alles funktioniert und etwaige Nebenwirkungen auftreten. Es folge die zweite, die sogenannte klinische Phase, bei der zwischen 1000 und 8000 Patienten benötigt würden. Dies entspreche laut Geschäftsführer Isele schon einer Größenordnung, die nur mehr „mit Mühe und Not im Labor“ erfolgen könnte, weshalb die Tests in mehreren Ländern gemacht würden, andernfalls würden Laborkapazitäten überschritten. In der klinischen Studie drei ist dann bereits die Rede von 30000 bis etwa 80000 Probanden.

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