„Der Kunde will stationär kaufen“

von Redaktion

Die Kaufmannsmentalität hat dem Handel in Haag durch die Krise geholfen

Haag – „Wir haben die Krise gut überstanden“, sagt Thomas Sax, Vorsitzender von „Haag aktiv“. Der Sprecher des Zusammenschlusses der Geschäftsleute und Selbstständigen in der Marktgemeinde betont: „Bei uns hat bisher kein Betrieb als Folge der Corona-Pandemie schließen müssen.“ Dass bei den Haager Kaufleuten trotz steigender Infektionszahlen nach wie vor keiner schwarzmalt, hat nach Erfahrung von Sax viel mit der Haager Kaufmannsmentalität zu tun.

Die meisten Geschäfte sind inhabergeführt – seit Jahrzehnten schon. Viele befinden sich in eigenen Räumlichkeiten: Miete und Pachtzahlungen fielen in der Krise oft nicht an. Außerdem gibt es in der Marktgemeinde eine jahrhundertealte Handelstradition. Sie ist bis von der sogenannten „Eh da“-Mentalität geprägt, sagt Sax schmunzelnd. Will heißen: Ganze Familien mit Vertretern mehrerer Generationen stehen oft hinter der Ladentheke – sind also „eh da“, haben halt das Kaufmannsgen. Viele Geschäftsleute beschäftigen nach Sax‘ Erfahrungen außerdem seit vielen Jahren Mitarbeiter, die trotz Kurzarbeit den Betrieben treu geblieben sind.

Sax rechnet nicht mit
weiterem Lockdown

Einen weiteren Lockdown darf es jedoch nicht geben, warnt der Vorsitzende der Werbegemeinschaft. Er ist überzeugt, dass es dazu nicht erneut kommen wird. Schließlich sei die Situation im Herbst 2021 aufgrund der Impfungen anders zu bewerten als ein Jahr zuvor.

Sax und seinen Kolleginnen und Kollegen ist jedoch auch bewusst, dass für viele Geschäftsleute und Betriebe noch eine Durststrecke kommen kann. Denn die öffentlichen Hilfen – etwa per Kredit – müssten schließlich zurückgezahlt werden.

Als die Geschäfte wieder öffneten, verspürten viele Betreiber einen großen Nachholbedarf bei den Kunden, der die Kassen klingeln ließ. „Mittlerweile haben sich die Umsätze normalisiert“, sagt Sax. Als Referenzjahr ziehen er und die Haager Kaufleute trotzdem 2019 heran, „2020 können wir vergessen“, sagt Sax. Im zweiten Quartal sei der Umsatz bei vielen heuer so gut gewesen wie zur gleichen Zeit im Jahr 2019, berichtet der Vorsitzende von „Haag aktiv“. Jetzt sei eine gewisse Ermüdung eingetreten.

Was auf keinen Fall erneut passieren dürfe: ein Ausfall des Weihnachtsgeschäfts so wie im vergangenen Jahr. Im Winter 2020 hätten auch die Haager Kaufleute den emotionalen Tierpunkt erreicht – „alles war geschlossen, kein Ende war in Sicht“, erinnert sich Sax. Die staatlichen Hilfen seien zwar in allen Bereichen eingetroffen, die Kurzarbeit habe vielen über die schwere Zeit geholfen. Doch es habe auch einen Steuerberater gegeben, „der es nicht auf die Reihe gebracht hat“, die entsprechenden Unterstützungsanträge zu stellen.

Noch schlimmer sei es gewesen, nicht verkaufen zu dürfen. „Gelitten hat darunter jeder, denn bei uns in Haag haben die Geschäftsleute das Verkaufen im Blut.“ Nach dem Lockdown sei die große Preisschlacht erwartet worden, jedoch ausgeblieben. „Alle hatten schließlich das gleiche Problem der vollen Lager.“ Keiner sei in Haag mit Extrem-Billigangeboten vorgeprescht, freut sich Sax.

Gut sind nach seinen Angaben vor allem jene durch die Krise gekommen, die online bereits gut aufgestellt waren. Etwa ein Drittel der Haager Handelsbetriebe habe bereits digital aufgerüstet und biete eigene Online-Shopping-Möglichkeiten an. „Das hat vielen den Hosenboden gerettet“, sagt Sax, der zugibt, diesbezüglich in seinem Sanitätsfachgeschäft selber „Lehrgeld bezahlt“ zu haben.

Doch er und seine Kolleginnen und Kollegen stellen auch fest: „Der Kunde will stationär kaufen.“ Auch der Letzte habe in der Pandemie begriffen, dass es auch online funktioniere und seine Erfahrungen gemacht. „Der Marktplatz Internet ist spätestens jetzt nicht mehr wegzudenken.“

Doch das Einkaufserlebnis im Geschäft, das Anprobieren, Ausprobieren, Fühlen, Schmecken, beraten lassen vor Ort, all das könne ein Online-Shop nicht ersetzen. Diesen Wert hätten viele Kunden neu erkannt. „Wie schön, dass Sie wieder da sind“, heiße es nach wie vor oft, berichtet Sax.

Online-Erfahrungen
austauschen

Trotzdem will „Haag aktiv“ keinen virtuellen Markt für die Geschäftsleute in der Gemeinde eröffnen, aber eine Online-Gruppe gründen, die sich dem Erfahrungsaustausch widmet. Denn Online-Geschäfte bergen viele Fallstricke, weiß Sax. Der Aufbau eines Internet-Shops sei technisch und finanziell weder innerhalb kurzer Zeit zu stemmen, noch sei es möglich, eigene Plattformen ohne personelle Zusatzressourcen zu pflegen. Besser sei es, in den großen Vertriebskanälen mitzuschwimmen, findet Sax.

„Haag aktiv“ setzt stattdessen auf Aktionen, die die Kunden in die Gemeinde und die Geschäfte locken sollen: Gutscheine, Verlosungen, Gewinnspiele, kleinere Feste und Marktsonntage mit verkaufsoffenen Geschäften – wenn es die Infektionslage zulässt. „Wir haben Elan und den Drive. Keiner bläst Trübsal. Jeder will. Ein neuer Lockdown, das geht auch deshalb gar nicht“, sagt Sax.

Alle Branchen für alltäglichen Bedarf

70 Mitglieder hat die Werbegemeinschaft „Haag aktiv“. Alle Branchen mit Waren und Dienstleistungen für den alltäglichen Bedarf sind nach Angaben des Vorsitzenden Thomas Sax in der 6600 Einwohner großen Gemeinde vertreten – „nur der Kerzenzieher fehlt“, bringt Sax mit einem Beispiel auf den Punkt, dass die Größe des Ortes für spezielle Angebote nicht ausreicht. Um die Geschäftsleute nicht weiter zu belasten, ist die Sanierung der Hauptstraße, Kern des Geschäftsviertels, auf 2024/2025 verschoben worden.

Müller-Czap: Stimmung etwas gedämpft

„Seit einigen Tagen ist die Stimmung wieder etwas gedämpft“, bedauert Angelika Müller-Czap, die gemeinsam mit ihrem Mann Günter Müller eines der größten Geschäfte in Haag führt: die Buchhandlung, Druckerei, das Schreib- und Spielwaren- sowie Geschenkartikelgeschäft Czap mit Café. Vor allem im Gastronomiebetrieb bereiten die steigenden Inzidenzen und die neuen Corona-Regeln Unruhe. „Das Leben ist wieder komplizierter geworden“, sagt sie. Derzeit tätigt die Geschäftsfrau die Weihnachtsbestellungen – „mit einem etwas komischen Gefühl, denn wir wissen nicht, wie sich die Lage weiter entwickeln wird.“ Der Kunde in Haag will, so auch ihre Erfahrung, vor allem stationär einkaufen. Das spüre der eigene Online-Shop für Büro- und Schreibwaren, der kaum Relevanz im Betrieb habe. Die Bürger würden stattdessen gerne die Waren anfassen, ihre Haptik erleben, sich beraten lassen. Haager Geschäfte seien zudem Begegnungszentren und Treffpunkte. Dass es noch einmal einen Lockdown geben kann, davon geht auch Müller-Czap nicht aus. duc

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