Rosenheim – Im März trafen sich erstmals 100 Unternehmer unter dem Credo „Wir stehen zusammen“ in Irschenberg, um ihrem Ärger über die Corona-Beschränkungen Luft zu machen. In die Kritik geriet die Bewegung später durch demokratiefeindliche Äußerungen, die während einer ihrer Veranstaltungen unter den Teilnehmern gefallen sein sollen. Ein Gespräch mit den Mitinitiatoren Markus Dettendorfer und Jan Czerny über ihre Befürchtung, die Beschränkungen könnten zum Dauerläufer werden.
Sie haben einen Appell an die hiesigen Bundespolitiker gerichtet. Welches Ziel verfolgen Sie mit dieser Aufforderung?
Jan Czerny: Ziel unseres Appelles war, die Politiker direkt zu erreichen, aber auch die Bürger. Die angesprochenen Politiker haben von uns separate E-Mails erhalten mit einem ausführlicheren Appell. Weil über die Abstimmung zur Verlängerung der epidemischen Notlage sehr wenig in den Medien berichtet wurde, haben wir uns entschieden, eine Anzeige zu schalten. Wir pochen darauf, dass die epidemische Notlage nicht weiterhin ausgeweitet wird, und haben deshalb unsere Gründe dafür nochmals dargelegt. Wir sind der Überzeugung, dass die bisherigen Eingriffe in das soziale und wirtschaftliche Leben schon unverhältnismäßig waren. Damit muss jetzt einfach Schluss sein. Wenn die epidemische Notlage bis 30. September verlängert bleibt, dann bin ich mir sicher, dass sie bis nächsten Sommer insgesamt verlängert wird. Es ist ja damit zu rechnen, dass im Herbst allein durch saisonale Faktoren die Inzidenzwerte wieder ansteigen werden.
Sie sprechen auch davon, dass die Bürger ihre Stimme abgeben sollen. Zielen Sie damit auf die Bundestagswahl?
Czerny: Es ist ganz klar, dass die Wahl in diesem Herbst die wichtigste der vergangenen 15 Jahre ist. Sicherlich richtungsweisend. Es ist jeder aufgefordert, sich genau Gedanken zu machen, welche Politik er in den nächsten vier bis acht Jahren möchte. Wer ist mein Kandidat? Wer vertritt meine Werte? Wir wollen jeden Einzelnen triggern. Macht Euch Gedanken: Wofür steht Ihr? Wofür soll die Politik stehen und wo soll sie uns hinführen?
Markus Dettendorfer: Es geht aber auch um jene, die derzeit in der Regierung sind. Diese haben zu verantworten, womit wir momentan als Gesetze und Verordnungen zurechtkommen müssen. Aus unserem Umfeld ist überwiegend die Meinung zu hören, dass die Stimmen der Bürger und auch die Stimmen der Unternehmer in der Politik nicht ankommen. Dass die Mandate nicht so ausgeführt werden, wie man das gerne hätte. Die Politiker müssen wieder mehr auf die Basis hören. Denn die Umsetzung der Bedürfnisse der Menschen vor Ort und auch der Parteibasis ist meines Erachtens nicht mehr vorhanden oder verstümmelt.
Sie haben also die Befürchtung, die epidemische Notlage könnte zum Selbstläufer werden?
Dettendorfer: Aktuell scheint sie sich zum Dauerläufer zu entwickeln. Wenn sich diese Situation erst mal über lange Zeit etabliert hat, wird es schwierig, sie wieder loszuwerden. Die Leute werden sich an die Einschränkungen gewöhnen. Die Schäden werden weiter auflaufen und damit auch die furchtbaren Konsequenzen. Hier kann man nicht tatenlos bleiben.
In einer Zeitungsanzeige sprechen Sie von „Wahnsinn“. Was genau verstehen Sie darunter?
Dettendorfer: Es ist aus vielerlei Munde und Expertenkreisen zu vernehmen, dass der Lockdown nichts oder wenig gebracht hat – außer wahnsinnigen Schäden. Wahnsinn ist auch die Unverhältnismäßigkeit, die ganz gut am Einzelhandel abzulesen ist. Zum Beispiel der Vergleich von Supermärkten zu Bekleidungs- oder Schuhgeschäften. Es gibt Supermärkte, die auch Bekleidung oder Schuhe geführt haben, während andere Berufsverbot hatten. Das kann so nicht bleiben.
Woran machen Sie fest, dass der Lockdown nichts gebracht hat?
Czerny: Die Fakultät für Statistik an der Ludwigs-Maximilians-Universität München hat eine zweiwöchentliche Aussendung, in der sie mit den offiziellen Daten arbeitet und verschiedene Hypothesen testet. So zum Beispiel Ende Mai, ob die Verschärfung von Maßnahmen maßgeblich dazu beigetragen habe, die Inzidenz- und Infektionszahlen zu senken. Sie kamen zum Ergebnis, dass es hier keinen zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang gibt. Das bedeutet, dass Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen nichts Wesentliches gebracht haben. Bis auf tatsächliche und für jeden spürbare Einschränkungen seiner persönlichen Freiheit. Nun mag ich das während der sehr schwierigen Situation im Winter vielleicht auf übertriebene Vorsicht schieben. Aber nachdem das nun klar ist, nachdem sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse ständig über Nutzen und Schaden verbessern, heißt das: Wer weiterhin dafür ist, dass bestehende Maßnahmen weitergeführt werden, wider besseren Wissens, der handelt vorsätzlich gegen die persönlichen Freiheitsrechte.
Dettendorfer: Der Wechsel vom R-Wert zu den leidigen Inzidenzwerten und diese nicht ins Verhältnis zur Testanzahl zu setzen oder auch die nachweisliche Verzerrung bei der Intensivbettenauslastung waren nicht geeignet um eine Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen. Dadurch wurde die derzeitige Spaltung der Gesellschaft befeuert. Hier müsste doch die Politik durch mehr Transparenz und einer ordentlichen Aufarbeitung eine Versöhnung beziehungsweise Beruhigung herstellen.
Nun blicken wir in Rosenheim auf Inzidenzwerte unter 10, im Landkreis unter 20. Folgt man Ihrer These, hängt diese Entwicklung mit anderen Faktoren zusammen.
Dettendorfer: Ich bin der Meinung, das ist überwiegend saisonal begründet.
Czerny: Ich sage nicht, dass sämtliche Maßnahmen Humbug sind. Die Wirksamkeit von Schutzmasken beispielsweise. Das ist reine Physik. Hier muss man relativ wenig interpretieren, um zu verstehen, dass durch die Maske meine Viren bei mir bleiben und die Viren der anderen bei denen. Aber dort, wo Maßnahmen wirklich extrem in die persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Möglichkeiten eingegriffen haben, dort stellen wir deren Verhältnismäßigkeit ganz massiv infrage. Jetzt haben wir nach wie vor ein Damoklesschwert über uns, das Lockdown heißt. Gibt es keine intelligentere Lösung als diese Lockdown- und Zerstörungspolitik?
Haben Sie für Ihre Initiative inzwischen einen Verein gegründet?
Czerny: Nach wie vor nicht, das ist auch nicht geplant.
Über welches Gebiet erstreckt sich „Wir stehen zusammen“ inzwischen?
Dettendorfer: Wir wollten die Initiative ursprünglich für den Landkreis Rosenheim und für unsere Wahlkreise Rosenheim und Miesbach initiieren. Da viele Leute mit der Situation unzufrieden sind und viele Maßnahmen und politische Entscheidungen nicht nachvollziehen können, haben wir einen enormen Zulauf bekommen – auch aus Nachbarland- und -wahlkreisen. Denen wollten wir natürlich nicht verwehren, sich mit uns zu engagieren.
Czerny: 80 Prozent unserer Unterstützer sind in Bayern beheimatet, davon der Großteil in den Landkreisen zwischen Garmisch-Partenkirchen und Freilassing. Unterstützer werde ich, wenn ich mich auf unserer Homepage namentlich unter unseren offenen Brief setze. Wer in welcher Art und Umfang in unserem Sinne aktiv wird, können wir nicht genau beziffern. Wir regen dazu an, in einem Landkreis, in einem Wahlkreis aktiv zu werden. Sich in einem konstruktiven und positiven Sinn mit anderen Unternehmern zu vernetzen, um ein Verständnis für die Lage und die Probleme, die wir sehen, aufzubauen und aktiv auf Kommunalpolitiker, auf Abgeordnete zuzugehen, um dieses Verständnis zu schaffen und eine Politikänderung zu erreichen.
Sie werben um finanzielle Unterstützung. Dies auch, um die Kosten möglicher Rechtsstreitigkeiten decken zu können. Auf welche Art Rechtsstreit zielt das ab?
Dettendorfer: Wenn man in unserem Sinn aktiv ist, birgt es immer die Gefahr, dass sich irgendwo ein Problem auftut, oder jemand vielleicht mal einen Fehler macht. Juristische Unterstützung kann daher sowohl in der Offensive als auch in der Defensive notwendig sein. Wobei wir in der Offensive ganz klar die Rechtsstaatlichkeit anerkennen und vor allem auch einfordern. Wir müssen für die Rechtsstaatlichkeit kämpfen.
Wie viel Geld ist inzwischen zusammengekommen?
Dettendorfer: Es sind einige Tausend Euro.
Gibt es für Ihren Zusammenschluss so etwas wie eine politische Heimat?
Dettendorfer: Wir haben in unseren Reihen diverse Parteimitglieder, ich selbst bin auch eins. Aber als Initiative sind wir neutral und werden an dieser Stelle keine Wahlempfehlungen aussprechen. Natürlich legen wir den Finger in die Wunde und sagen, dass die momentane Situation einfach nicht zufriedenstellend ist. Wir wollen, dass die Leute sich Gedanken machen, was für sie denn eine Option wäre, wenn sie bis dato jemand gewählt haben, der ihre Werte und Vorstellungen nicht mehr vertritt.
Czerny: Wir haben jetzt zum zweiten Mal eine Umfrage unter unseren Unterstützern gestartet. Der Rücklauf ist relativ gut, mit mehr als 1000 Rückmeldungen. Eine der Fragen ist: Welche Partei haben Sie traditionell gewählt und welche werden Sie bei der Bundestagswahl im Herbst wählen? Die Antworten spiegeln ein sehr zerfasertes Meinungsbild wider, das ist hochinteressant. Ganz klar an Vertrauen verloren haben jedoch die Regierungsparteien. Noch vor den Sommerferien werden wir eine Podiumsdiskussion mit allen Bundestagskandidaten für den Wahlkreis Rosenheim organisieren, um den direkten Austausch zu ermöglichen. Dort hat jeder sehr niederschwellig die Möglichkeit, sich die Kandidaten anzuschauen und sich mit deren Positionen auseinanderzusetzen. Wen er dann wählt, das muss jeder für sich entscheiden. Wichtig ist, dass er sich damit beschäftigt. Interview: Jens Kirschner