„Arbeitsflächen streichen ist ein Fehler“

von Redaktion

Interview Experten aus Möbel- und Baubranche geben Einblick in Büros der Zukunft

Ein weiteres Beispiel für moderne Arbeitsplätze gab die Baufirma Regnauer in ihren Büroräumen in Seebruck am Chiemsee. Foto REgnauer

München/Rosenheim/Seebruck – Fabian Mottl aus Kolbermoor arbeitet seit über zehn Jahren für den Büromöbelhersteller Steelcase und behält die weltweiten Entwicklungen am Arbeitsplatz im Auge. Anhand einer aktuellen Studie des Großkonzerns mit Werk in Rosenheim gibt er einen Einblick in den Wandel der Arbeitswelt und beschreibt, wie die modernen Büros künftig aussehen werden.

Sie bezeichnen Ihre Studie als ´das neue Zeitalter des hybriden Arbeitens´. Wie kann man sich das vorstellen?

Das Ziel unserer Studie war, herauszufinden, welchen Einfluss die Pandemie auf die Arbeitswelt hat, wie und wo in Zukunft gearbeitet wird. In unseren Report wurden dafür rund 5000 Menschen befragt. Darauf basierend haben wir vier zentrale Design-Prinzipien aufgeschlüsselt. Nach diesem Muster sind nun unsere Büroräume in München aufgebaut.

Wie sehen diese vier Grundprinzipien aus?

Das erste Prinzip ist der „Ich-und-wir-Bereich“. Das heißt, es muss Räume geben, in denen ich ungestört bin. Gleichzeitig braucht es Bereiche für die Zusammenarbeit. Das ist wie in einer gut aufgebauten Stadt, in denen es ruhige und belebte Viertel gibt. Zweitens braucht es Flexibilität. Benötigen wir zum Beispiel viel Platz für ein großes Team, dann dürfen nicht erst die Monteure anrücken, um einen Tisch zu verschieben. Tablets, flexible Aufladestationen und mobile Möbel sind hier Lösungsansätze. Das dritte Thema ist der „offene und geschlossene Bereich“. Hier spielt eine Rolle, dass nicht mehr jeder Mitarbeiter einen eigenen Arbeitsplatz braucht. Doch es braucht auch unbedingt Rückzugsmöglichkeiten. Der letzte Punkt ist, die digitale und analoge Arbeit zu kombinieren. Hier kann ich dieses Interview als Beispiel nehmen. Wir sprechen gerade virtuell miteinander. Wenn ich den Laptop aber etwas höher positioniere, könnte ich in München am Whiteboard arbeiten und Sie könnten es in Rosenheim dennoch gut lesen.

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Veränderung durch die Pandemie?

Vor allem Autonomie und Flexibilität. Nach unseren Ergebnissen hatten drei Viertel der Menschen zu Hause einen eigenen Arbeitsbereich. Dort konnten sie sich konzentrieren und hatten eine gewisse Selbstbestimmung. Das haben sie genossen. Aber die Menschen fühlten sich auch isoliert. Laut unserer Studie kamen daher 64 Prozent aufgrund der Zusammenarbeit zurück ins Büro. Die Pandemie hat uns gezeigt, dass es den Platz für Privatsphäre, Sicherheit und die Fokusarbeit auch im Büro geben muss.

In der Studie wird hybrides Arbeiten als Lösung für die veränderten Bedürfnisse aufgezeigt. Ist diese Mischung aus Homeoffice und Büroarbeit die Zukunft?

Vor dem Modell des hybriden Arbeitens wird sich kein Unternehmen mehr verstecken können. Laut unserer Studien rechnen nur rund fünf Prozent der Führungskräfte damit, dass sie komplett im Homeoffice arbeiten werden. Dagegen erwarten 72 Prozent eine hybride Zukunft. Der größte Gewinn der Pandemie für die Mitarbeiter war laut unserer ersten Studie von 2021 der Wegfall des Pendelweges. Das merke ich auch an mir selbst. Ich wohne in Kolbermoor und habe nichts dagegen, wenn ich in der Früh nicht nach München pendeln muss. Gleichzeitig habe ich gemerkt, dass fünf Tage die Woche im Homeoffice auch keine Lösung ist.

Laut ihrer Studie sind während der Pandemie elf Prozent der Bürofläche von Arbeitgebern eingespart worden. Ist das der richtige Ansatz?

Das reine Wegstreichen von Arbeitsflächen wäre ein Fehler. Gleichzeitig braucht es aber bei einer Firma von beispielsweise 100 Angestellten keine 100 Arbeitsplätze. Denn es werden speziell nach der Pandemie nie alle gleichzeitig im Büro sein. Daher braucht es verschiedene Arbeitsbereiche, in denen zum Beispiel Platz für 70 Personen ist.

Wie werden die Büros der Zukunft aussehen?

Wir erkennen eine klare Tendenz, die weggeht von den Zellenbüros mit Namensschild an der Tür und getrennter Hierarchie. Bei uns haben die Vorstandsmitglieder alle kein eigenes Büro. Das Büro an sich bleibt für den Austausch mit Kollegen wichtig. Dafür muss es so gestaltet sein, dass der Anreiz da ist, den Pendelweg gerne auf sich zunehmen. Diese Ansätze gepaart mit der neuen Technologie und Homeoffice bilden das hybride Modell und die Zukunft der Arbeitswelt. Interview: Korbinian Sautter

Moderne Tische aus Rosenheim

Das amerikanische Unternehmen Steelcase setzt seit der Übernahme durch die Rosenheimer Werndl Büromöbel AG 1999 auf die Expertise aus der Region. 2017 habe man seinen Sitz nach München verlegt, doch Rosenheim bleibe ein wichtiger Standort, sagt Fabian Mottl: „Dort haben wir aktuell 373 Mitarbeiter, die Bürotische für ganz Europa herstellen. Auch wenn die Zentrale Verwaltung nun in München sitzt, bleibt der Standort ein wichtiges Werk für uns“, betont der Manager für Markenkommunikation aus Kolbermoor.

Traunsteiner Seminar zur „Transformation der Arbeitswelt“

Einen weiteren Schritt in Richtung der zukünftigen Arbeitswelt in der Region gab kürzlich das Bauunternehmen Regnauer mit einem Seminar in Seebruck. Stefan Rief, Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung am Frauenhofer Institut in Stuttgart, gab dabei einen Einblick in die aktuelle Forschungslage. „Wir erleben das Anbrechen einer neuen Epoche für das Büro“, meint Rief mit Blick auf die neue hybride Arbeitsweise, die wegfallenden Pendelzeiten und die verbesserten technischen Voraussetzungen. Auch er sieht, wie der Steelcase-Experte, dass die deutlich stärkere Nutzung des Homeoffice die Zahl der fest zugeordneten Arbeitsplätze im Büro sinken lässt und die Struktur fester Abteilungen auflöst.

Denkbar seien künftig etwa die Regulierung der Raumtemperatur für konzentriertes, kreatives Arbeiten oder das zeitweilige Blockieren der Kommunikation für effizientes Arbeiten. Der Experte machte deutlich, dass eine inspirierende Büroumgebung mit Treffpunkten für den zwanglosen Austausch wichtig seien: „Gerade nach Corona wird ein Wohlbefinden und Motivation förderndes Büro mit agilen Möglichkeiten und digitalen Optimierungspotenzialen eine wichtige Rolle spielen und den Imagegewinn fördern“, betont Michael Regnauer, Geschäftsführer des Traunsteiner Familienunternehmens. Um die für einen Bauherren passenden Faktoren zu ermitteln, legt die Firma ein Büroprofil an. Das sei wie ein „Maßanzug“ auf den Auftraggeber zugeschnitten. Die Konzepte sollen dabei beispielsweise für verkürzte Wege sorgen oder die Wartebereiche als Besprechungszonen nutzbar machen.

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