Kolbermoor – Professor Dr. Claus Hipp ist seit rund einem halben Jahrhundert an der Spitze des Babynahrungsherstellers Hipp. Dabei war es dem Geschäftsführer wichtig, auf ethische Werte in der Wirtschaft zu achten. Im Rahmen einer Veranstaltung der Mittelstandsunion im Kesselhaus Kolbermoor spricht der 83-Jährige im OVB-Exklusivinterview über vier grundlegende Tugenden – und wo sie manchmal zu kurz kommen.
Herr Hipp, Sie sind in München geboren, wohnen in Pfaffenhofen, sind Honorarkonsul von Georgien und haben zahlreiche Kontakte auf der ganzen Welt. Was verbindet Sie mit der Region?
Meine erste Erinnerung an Rosenheim ist, dass ich in meiner Jugend einmal fast in der Mangfall ertrunken wäre. In einem Ferienlager wollte ich mit anderen Buben im Fluss schwimmen. Dabei bin ich in einen Strudel geraten, der mich hinuntergezogen hat. Zum Glück wurde ich irgendwann auf einen Felsen gespült und konnte herausklettern. Aber ich habe auch sehr gute Gefühle zu dieser Region: Eine meiner Töchter lebt hier in der Nähe. Zudem bin ich seit 40 Jahren Almbauer in den Chiemgauer Alpen.
In Ihrem Vortrag haben Sie über Ethik in der Wirtschaft gesprochen. Warum ist Ihnen das Thema so wichtig?
Viele Dinge sind heutzutage nicht mehr so wie früher. Dabei hat sich jedoch eines nicht verändert: Wir als Unternehmer müssen anständige Kaufmänner sein, sonst geht es nicht. Wenn wir nicht ehrbar handeln, führt das vielleicht kurzfristig zum Erfolg, wird aber auf lange Sicht nie funktionieren.
Wie sieht ethisch richtiges Handeln aus?
Schon von den alten Griechen kennen wir den Begriff der vier Tugenden. Die Klugheit, die Gerechtigkeit, die Tapferkeit und die Bescheidenheit. Zusammengenommen ergeben sie ein anständiges Umgehen miteinander.
Was bedeuten die Tugenden auf die heutige Zeit bezogen?
Die Klugheit bedeutet, nicht nur zu wissen, was richtig ist, sondern sich auch bewusst für das Richtige zu entscheiden. Ich denke, viele Unternehmer wissen, was der anständige Weg in einer bestimmten Situation wäre. Diesen aber auch zu gehen, macht kluges Handeln aus. Bei der Gerechtigkeit verhält es sich ähnlich. Recht zu haben und recht zu bekommen sind zwei unterschiedliche Sachen. Auch müssen wir unterscheiden zwischen Legalität und Legitimität. So kann eine Handlung zwar den Gesetzen entsprechen, also legal sein. Sie ist deswegen aber noch lange nicht legitim, wenn sie nicht mit grundlegenden ethischen Werten übereinstimmt.
Haben Sie ein Beispiel für Tapferkeit?
In der Neuzeit würde ich Tapferkeit als Mut bezeichnen, etwas auszusprechen, was manchmal auch unangenehm sein kann. Wir Kaufleute haben auch eher die Möglichkeit dazu. Wenn beispielsweise ein Geschäftsführer seine Entscheidung frühzeitig korrigiert und das auch so kommuniziert, reden wir von Weitsicht und Mut. Wenn dagegen ein Politiker einen Fehler eingesteht, wird er als Fähnchen im Wind kritisiert.
Wie passt die Bescheidenheit in den unternehmerischen Erfolg?
Ich kann verstehen, wenn man mal gerne ein Auto mit möglichst viel PS haben will. Auch ich wollte damals einen Sportwagen fahren, konnte mir aber früher selbst keinen leisten. Später konnte ich mir dann aus Imagegründen keinen mehr leisten. Manchmal kann es aber auch eine Befreiung sein, sich von Statussymbolen zu lösen. Ein weiteres Beispiel wäre, den Rat von Experten anzunehmen und nicht zu denken, ich wüsste in allen Bereichen am besten Bescheid. Das hat noch keinem Unternehmen langfristig geholfen.
In einer Zeit, in der es aufgrund von Energiekrisen, Inflation, Fachkräftemangel und der Pandemie viel Unsicherheit gibt. Bleibt die Ethik da nicht auf der Strecke?
Die Gefahr, dass das passiert, ist in jedem Fall da. Dennoch gilt es auch hier, weiterhin ehrbar zu handeln und sich umeinander zu kümmern, um langfristig zu bestehen. Dabei sollten wir gerade jetzt als Unternehmer alle notwendigen Informationen an die Mitarbeiter weitergeben. Sie sollen den Weg der Firma verstehen. Das führt dazu, dass diejenigen, die zum Unternehmen passen, sich wohlfühlen und weniger Angst vor der aktuellen Lage haben.
Was wäre Ihr Ansatz, um beispielsweise das Energieproblem anzugehen?
Das braucht meiner Meinung nach ein generelles Umdenken. Und es geht schon in ganz kleinen Dingen los: Ein paar Grad weniger am Arbeitsplatz würden zum Beispiel helfen Energie zu sparen, auch wenn wir dann unsere Sommermode nicht im Winter tragen können. Außerdem habe ich einmal ein paar Jugendliche angesprochen, die mit dem Aufzug zwei Stockwerke heruntergefahren sind. Als ich sie fragte, ob sie nicht auch die Treppe nehmen könnten, meinten sie: ,Nein, wir machen nachher noch Sport und müssen dafür fit sein.’ Hier sollten wir unsere Gewohnheiten überdenken und überlegen, was wirklich sinnvoll ist.
Sind die Tugenden in einem Großunternehmen wie Hipp leichter umzusetzen oder können sich das auch kleinere Unternehmen mit weniger Budget leisten?
Die Einstellung ist keine Frage des Geldes. Meiner Erfahrung nach ist es einer der größten Fehler, nur auf die Finanzen und den schnellen Erfolg zu schauen. Denn das wäre, egal bei welcher Größe, für jede Firma sehr kurzfristig gedacht.
Was würden Sie den Unternehmern aus Ihrer Erfahrung mitgeben?
Optimistisch zu bleiben. In Deutschland haben wir schon viele Krisen geschafft. Auch die aktuelle bekommen wir gemeinsam wieder in den Griff.
.Interview: Korbinian Sauter