Rohrdorf – Seit der Übernahme des großen Mobilfunkanbieters Ericsson im Jahr 2019 ist der Name Kathrein auf den ersten Blick deutlich kleiner geworden. Von insgesamt 2000 Mitarbeitern in Rosenheim ist laut dem Technik- und Entwicklungsleiter Christian Sautter nur noch eine kleine Sparte von rund 70 Mitarbeitern übrig geblieben. In Rohrdorf hat sich die Tochterfirma Kathrein Broadcast mittlerweile verselbstständigt. „Mit eigener Verwaltung, Entwicklung und Vertrieb bleibt das Unternehmen jedoch ein Spezialist beim Bauen von modernen Antennenanlagen.“ Durch die laut Sautter weltweite Vernetzung und den nach wie vor guten Ruf in der Szene, kümmert sich das mittelständische Unternehmen weiterhin um internationale Großprojekte – und entwickelte nun einen der größten Sendemasten der Welt.
Großprojekt
begann bereits 2017
„Das Projekt begann für uns bereits im Jahr 2017. Damals haben wir über unsere Kontaktfirma in der Türkei eine Anfrage bekommen, ob wir uns um das Antennensystem beim Turm Camlica kümmern können“, berichtet Geschäftsführer Jörg Lippert. Seitdem sei Kathrein im Auftrag des türkischen Staates damit beschäftigt gewesen, eine Lösung dafür zu entwickeln, rund 100 verschiedene Sender zu bündeln. Denn anstatt wie bisher viele kleine Sendeanlagen zu betreiben, sollte das Fernsehnetz der „halben Türkei” in einem großen Turm zusammengefasst werden.
Die Lösung dafür lieferte die Rohrdorfer Firma. „Seit 1952 sind wir, mittlerweile in dritter Generation, auf solche Anlagen spezialisiert“, sagt Lippert. In rund 140 Ländern sei die Technik aus dem Landkreis Rosenheim mittlerweile vertreten. Für den Camlica Tower war Kathrein laut dem Geschäftsführer bereits früh in den Prozess involviert. Rund zwei Jahre tüftelten die Ingenieure an der optimalen Lösung, konstruierten die passende Technik und beteiligten sich schließlich vor Ort mit rund 20 Mitarbeitern an der Installation.
„Eine der größten Herausforderungen war dabei zum einen die technische Lösung und zum anderen die Stabilität”, erklärt Ingenieur Sautter. Im Falle des 369 Meter hohen Turms galt es demnach, hunderte Fernseh- und Radiosignale zu bündeln und mit „Unmengen“ von Antennen wieder in die richtige Richtung auszustrahlen. „Das kann man sich ein bisschen vorstellen, wie mit großen Legosteinen zu bauen”, meint Sautter. Mit gewissen Grundbausteinen sollen die Frequenzen mit einer genau definierten Stärke in gezielte Bereiche ausgerichtet werden. Die Signale der Rundfunksender sollen dadurch vom Tower in die Wohnzimmer von ganz Istanbul und darüber hinaus reichen.
Windgeschwindigkeitvon 200 km/h
Beim Thema Stabilität gehe es wiederum darum, eine Anlage zu errichten, die Windgeschwindigkeiten von über 200 Kilometern pro Stunde trotzt. „Das gelingt mit eingebauten Schwingungsdämpfern sowie perfekt abgestimmten Schutzabdeckungen”, sagt Sautter. Die Projektingenieure wollen damit garantieren, dass die tonnenschwere Spitze des Turms nicht abknickt, egal welche Naturgewalten auf sie einwirken.
Das Ergebnis ist ein Projekt, dessen Gesamtkosten sich laut Angaben des Betreibers Kule auf rund 120 Millionen Dollar belaufen. „Mehrere Millionen davon stecken alleine in unserer Technik”, so Lippert. Alleine die Stahlantenne des Turms sei 168 Meter hoch und voll mit technischen Komponenten. „Eigentlich sind es sogar sechs ähnlich aufgebaute Antennen, die in einer Turmspitze zusammengefasst sind”, präzisiert der Geschäftsführer.
369 Meter
und 49 Stockwerke
Mit insgesamt 369 Metern Höhe und 49 Stockwerken reiht sich der Kücük Camlica laut der Betreiber-Webseite auf Platz 15 der höchsten Türme der Welt ein. „Bei solch einem Wahrzeichen hat die Größe natürlich nicht nur technische Gründe, sondern durchaus auch eine politische Bedeutung“, stellt Entwicklungsleiter Sautter klar. Seit Mai 2021 ist das moderne Wahrzeichen inklusive Restaurant und Aussichtsplattform für jeden geöffnet. Der Fernsehturm Camlica hat in nur einem Jahr 788241 Besucher angezogen.
Ingenieure zu
Gast bei Kathrein
Um die Anlage besser zu verstehen, kamen nun einige Ingenieure des Betreibers aus Istanbul nach Rohrdorf, um sich von Kathrein die wichtigsten Funktionen erklären zu lassen. Innerhalb einer Woche gaben die Experten einen Überblick über die speziellen technischen Herausforderungen. „Solche Großprojekte sind quasi wie Kinder für uns. Für die Wartung und den Betrieb werden wir die Betreiber auch in Zukunft unterstützen“, sagt Lippert.
Gleichzeitig werden die Ingenieure und Techniker aber neue Projekte in Angriff nehmen. In der Welt gäbe es schließlich nur eine Handvoll spezialisierte Firmen in diesem Bereich. Für Sautter und sein Team wird das nächste große Thema sein, den Rundfunk mit dem Mobilfunk zu kombinieren.
„Die Fernsehsender wollen auf das Handy.” Dementsprechend sind sowohl er als auch Lippert davon überzeugt, dass sich der Name Kathrein auch in Zukunft selbstständig weiterentwickeln wird.