Palling – Sorgen nach den Engpässen bei der Versorgung mit fossiler Energie bald auch knapper werdende Milchkontingente für nachhaltige Turbulenzen auf dem Lebensmittelmarkt? Einen ersten Vorgeschmack bescherte der ungewöhnliche Höhenflug beim Milchpreis im vergangenen Jahr. Die Hintergründe der Marktsituation, mögliche Konsequenzen daraus und interessante Einblicke zum Umgang mit Kühen zeigte der diesjährige Milchviehtag im Gasthof Michlwirt in Palling auf.
Über 230 Landwirte und Experten kamen bei der vom Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) in Traunstein und dem Verband für landwirtschaftliche Fachbildung Laufen-Traunstein organisierten Veranstaltung miteinander ins Gespräch. Zum Auftakt gab die Tiermedizinerin Dr. Ulrike Sorge einen Einblick, wie sich durch den passenden Umgang mit Kühen der Stress für Mensch und Tier reduzieren lässt, was sich positiv auf Tiergesundheit sowie Milchleistung und -qualität auswirkt.
Unter der Überschrift „Kuhverstand ist kein Geheimnis“ erläuterte die Fachabteilungsleiterin für Eutergesundheit beim Tiergesundheitsdienst Bayern die wichtigsten Verhaltensprinzipien, denen Kühe im Stall, auf der Weide und in besonderen Situationen folgen. Wichtige Faktoren seien dabei das Stress- und Herdenverhalten, der Geruchssinn und das Reagieren auf Druck- und Fluchtzonen.
Die Sprache der
Kühe nutzen
„Kühe brauchen vor allem Zeit und Raum, um Situationen richtig einschätzen und auf Signale reagieren zu können“, erklärte Sorge. Durch die Kenntnis des Tierverhaltens, passende Signalreize, die richtige Position sowie spezielles Training könnten Landwirte Kühe wesentlich stressfreier „lenken“ und an den Melkstand gewöhnen. Obendrein diene das sogenannte Stockmanship-Training der Arbeitssicherheit und dem Selbstschutz in großen Ställen. Die Tiermedizinerin demonstrierte dies anhand eines Videos. „Da kann man sogar als alter Hase noch was lernen“, kommentierte Kreisbauernobmann Johann Steiner.
Einblicke in die aktuelle Situation des Milchmarkts gab Sandra Mühlbauer vom Institut für Ernährungswirtschaft und Märkte der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Neben dem Verweis auf Änderungen in der Rohmilchgüteverordnung im Sommer 2021 – erstmals nach 40 Jahren – ging sie vor allem auf die besondere Situation beim Milchpreis ein. Dieser habe im vergangenen November mit 62,99 Cent pro Liter Bio-Milch und 59,52 Cent pro Liter bei konventionell erzeugter Kuhmilch einen historischen Höchststand erreicht. Zum Vergleich: 2016 lag der Literpreis bei konventioneller Milch bei 28,41 Cent. Dadurch seien auch die Preise bei Käse und Butter in die Höhe geschnellt.
Preiskapriolen durch
knappes Angebot
Als Gründe nannte Mühlbauer vor allem, dass die angelieferte Milchmenge seit 2019 rückläufig sei. Ebenso sei aufgrund von Klimaeinflüssen der Anteil von Fett und Eiweiß als wichtigste Inhaltsstoffe in den Sommermonaten sinkend gewesen. Panikkäufe durch den Ukraine-Krieg hätten ebenso wie die insgesamt sinkende Zahl an Milchkühen in Deutschland, psychologische Markteffekte und weitere Faktoren bei der „deutlichen Angebotsverknappung“ eine Rolle gespielt.
Mittel- und langfristig gerate die Milchproduktion in Bayern und Deutschland und damit auch der Milchpreis durch Handels- und Umweltauflagen, steigende Lohn- und Produktionskosten, mangelnde Planungssicherheit, den Klimawandel, die Konkurrenz durch vegane Ersatzprodukte und weltweite Markteffekte immer stärker unter Druck.
Franz Gruber gab in der Diskussion zu bedenken, dass sich die rasant gestiegenen Herstellungskosten „auch im Milchpreis niederschlagen müssen, damit wir kostendeckend produzieren können“. Über detaillierte Ergebnisse aus den Untersuchungen der Grundfutterqualität im letzten Jahr und deren Einfluss auf die Milchqualität berichtete Josef Schmalzbauer vom AELF in Holzkirchen. Als Schlussfolgerung aus den je nach Erntetag und Wettersituation stark schwankenden Messwerten empfahl er eigene Futteruntersuchungen und eine Futterberatung als „gute Investition in die Tiergesundheit“. Eine Checkliste zeigte ergänzend mögliche Schwachpunkte in der Produktionskette bei der Milch auf.
Auf die Auswirkungen der aktuellen Marktkapriolen für die Milcherzeuger der Region ging Ludwig Huber vom AELF Traunstein ein. Kurzfristig habe der steile Anstieg des Milchpreises zwar zu einer günstigen wirtschaftlichen Situation der Milcherzeuger und einer Entlohnung der Familien-Arbeitskräfte erstmals auf Mindestlohn-Niveau geführt. Doch die langfristigen Kostensteigerungen bei Betriebsmitteln, Baumaßnahmen und Technikinvestitionen seien dabei noch nicht berücksichtigt.
Kritische Sicht auf
größere Herden
Huber warnte davor, dass die aktuell günstige Situation nicht zu unüberlegten Investitionsentscheidungen führen dürfte. Trotz des Kostendrucks hätten es der technische Fortschritt und die Automatisierung Familienbetrieben in der Region bisher ermöglicht, auch kleinere gewachsene Milchviehherden mit Familienarbeitskräften zu betreuen.
Um die „horrenden Preise“ für Stallneubauten und Technikinvestition ausgleichen zu können, sei auch in der Region der Trend zu größeren Herden festzustellen. Diese seien aber längerfristig ohne knappe und teure Lohnarbeitskräfte nicht mehr zu betreuen, so Huber. Dies sei bei Investitionsentscheidungen, die die Weichen für die nächste Generation stellen, zu berücksichtigen.