Wirtschaftsstandort Oberbayern in Gefahr?

von Redaktion

Online-Forum des vbw: Unternehmer fühlen sich von bürokratischen Vorgaben drangsaliert

Rosenheim/Traunstein/Mühldorf – Hohe Energiepreise und Steuerabgaben, Fachkräftemangel und abnehmende Leistungsbereitschaft, dazu eine wachsende Belastung durch überbordende Bürokratie und Regulierung: Eine wachsende Zahl von Betrieben stellt sich deshalb die Frage, ob sie am Wirtschaftsstandort Oberbayern mittel- und langfristig eine gute Zukunft haben.

Einblicke, wo es im Arbeitsalltag der Unternehmen aktuell konkret zwickt, gab ein Online-Pressegespräch „Standort in Gefahr“ der Bezirksgruppe München-Oberbayern der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw). Über ihre Einschätzung der Lage sprachen Andreas L. Huber, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der vbw-Bezirksgruppe München-Oberbayern und die Chefs führender Unternehmen aus Ingolstadt, Freising, Altötting, Schongau und Wolfratshausen.

„Erleben schleichende
De-Industrialisierung“

Mit einer Arbeitslosenquote von aktuell 3,4 Prozent und einem Bruttoinlandsprodukt von rund 58 000 Euro pro Kopf gehe es Oberbayern – gesamtwirtschaftlich betrachtet – im Moment noch sehr gut, erläuterte Huber. Gleichzeitig hätten zuletzt 62 Prozent der oberbayerischen Betriebe der Metall- und Elektroindustrie angegeben, dass sich die Standortbedingungen für sie in den vergangenen zwei Jahren deutlich verschlechtert haben.

„Statt hierzulande investieren die Betriebe etwa in anderen mittel- und osteuropäischen Ländern und in Asien“, warnte Huber. Er ergänzte: „Wir erleben eine schleichende De-Industrialisierung. Wo heute Investitionen ausbleiben, fehlt es morgen an Wertschöpfung und übermorgen an Know-how.“ Eine sichere und bezahlbare Energieversorgung sei zentral, damit Oberbayern ein zukunftsfähiger Wirtschaftsstandort bleibe. „Wenn wir das bayerische Klimaziel bis 2040 erreichen wollen, muss sich die installierte Leistung bei Wind- und Solarenergie in Oberbayern ungefähr verachtfachen“, ergänzte der vbw-Experte. Dafür brauche es pro Jahr neue Freiflächen-Photovoltaik-Anlagen in der Größe von 642 Fußballfeldern, rund 42 000 PV-Anlagen auf Dächern und 17 neue Windkraftanlagen.

Zum erheblichen Standortnachteil dürfte auch der Mangel an Fach- und Arbeitskräften in der Region werden. Huber: „In Oberbayern werden im Jahr 2035 rund 106 000 Arbeitskräfte fehlen.“ Deshalb müsse kräftig in die Bildung investiert, die Erwerbsbeteiligung von Frauen und Älteren erhöht und die Beschäftigungschancen von Langzeitarbeitslosen verbessert werden. Standortentscheidend sei zudem die gezielte Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften aus dem Ausland.

Turbulenzen durch
hohe Energiepreise

Von zunehmenden Engpässen und Konkurrenz bei der Stellenbesetzung mit Ingenieuren, einem seit Corona um 50 Prozent angestiegenen Krankenstand sowie dem schwierigen Spagat zwischen Vollauslastung in der Produktion und dem Trend zu immer kürzeren Arbeitszeiten berichtete Thomas Stohwasser. Er ist Vorstandsmitglied der vbw-Bezirksgruppe München Nord – Ingolstadt und Personalleiter bei der Conti Temic microelectronic GmbH in Ingolstadt. Die ergänzende Aufgabenfülle, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein, bürokratische Auflagen und neue Rechtsvorgaben „machen für uns die Organisation der Arbeit ohne Zusatzpersonal immer schwieriger“. Von Turbulenzen infolge des hohen Strompreises berichtete Wolfgang Ohnesorg, General Manager bei UPM Communication Papers in Schongau. „Wegen des teuren Stroms werden Aufträge konzernintern bereits in die USA oder an andere europäische Standorte vergeben“. Das schwäche die Position des oberbayerischen Werks, zusätzlich zum allgemeinen Nachfragerückgang im grafischen Sektor und aktuellen Restrukturierungsmaßnahmen. Vom hohen Arbeits- und Finanzaufwand zur Erfüllung bürokratischer Regularien wie dem Lieferketten- und dem Hinweisgeberschutzgesetz berichtete Matthias Manghofer, Geschäftsführer bei der Gebrüder Geiselberger GmbH Druck und Verlag in Altötting. „Das schränkt uns in unserer normalen Arbeit wie auch der Kundenakquise immer stärker ein“.

Deutliche Rückgänge im Baugeschäft infolge der Inflation und hoher Zinsen monierte Korbinian Krämmel, geschäftsführender Gesellschafter der familiengeführten Krämmel Bauunternehmung GmbH aus Wolfratshausen. Die im europaweiten Vergleich zu hohe Steuerbelastung schränke Unternehmen in der aktuellen Situation zu stark ein, anstatt dem Markt mehr zu vertrauen.

Abnehmende
Leistungsbereitschaft

Michael Mißlbeck, vbw-Vorstandsmitglied der Bezirksgruppe München Nord -Ingolstadt und Geschäftsführer des Autozulieferers MT Technologies in Ingolstadt, befürchtete, dass Unternehmen seiner Branche hierzulande durch „die Ablehnung von Investitionen der Mutterkonzerne in Europa und der Autoindustrie“ mittelfristig abgehängt würden. Die Unternehmer kritisierten ebenfalls zunehmende Strukturprobleme in der Ärzte- und Pflegeversorgung sowie die deutlich abnehmende Leistungsbereitschaft und Freizeitorientierung der nachrückenden Generation. Damit werde die Sicherstellung des Nachwuchses für eine zunehmende Zahl von Berufsgruppen „immer deutlicher auch zur Frage von Prioritäten in Bildung und Gesellschaft“, so Matthias Manghofer.

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