Söllhuben – „Ich habe noch nie so schnell ‚Ja‘ gesagt, wie auf die Frage von Markus Söder, ob ich den Tourismus mit meinem Ministerium übernehmen will“, erzählt Michaela Kaniber, die Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und nun auch Tourismus amüsiert. Ihr Publikum applaudiert heftig und ist glücklich. Im Stadel beim Hirzinger in Söllhuben hat Kaniber ein Heimspiel. Es ist der Neujahrsempfang des oberbayerischen Ablegers des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) und die Mitglieder sind ohnehin beglückt, dass ihre Branche, der Tourismus, sich jetzt endlich auch im Namen eines Ministeriums findet.
Blick auf
Ganzjahrestourismus
Personalmangel, flexiblere Arbeitszeiten, Mehrwertsteuerfrust, Anerkennung ausländischer Ausbildungen – Kaniber kennt die Themen. Bei den meisten sind ihr die Hände gebunden, weil der Bund zuständig ist. Also redet sie über den Wintertourismus. Die Menschen wollten keine großen Hotels, keine größeren Seilbahnen – „Ich sage nur: Kampenwand“ – beides werde aber für den Ganzjahrestourismus gebraucht. Schneekanonen auf den Pisten? In Österreich, der Schweiz und Italien laut Ministerin in 75 bis 95 Prozent der Skigebiete die Regel, in Bayern gerade mal bei 25 Prozent. Da sieht Kaniber noch Luft nach oben und Fördermöglichkeiten.
Kongresstourismus? Kann nicht nur in den größeren Städten, sondern auch auf dem Land eine Rolle spielen, meint Kaniber. Und schichtet dafür in ihrem Haus den Etat um, macht Geld für entsprechende Werbung frei. Sie erinnert an die knapp 50 Heilbäder in Bayern, in denen die Kur langsam wieder aufersteht. Auch da sei die Gastronomie ein Aushängeschild, denn „wer sich nicht wohlfühlt, der kommt nicht wieder.“
Kaniber weiß, dass ihr Publikum eher wertkonservativ ist. Seitenhiebe auf die Ampel-Koalition in Berlin? Natürlich. CO2-Abgabe und höhere Maut treiben den Speditionen die Kosten hoch. Gekürzte Subventionen und höhere Ausgaben machen der Landwirtschaft das Leben schwer und ihre Produkte teurer. „Und auf wen fällt das zurück? Auf jeden Einzelnen, der Lebensmittel und Strom teuer bezahlen muss.“ Sie sei jetzt 46 Jahre alt, sagt Kaniber, und sie könne sich nicht erinnern, dass es eine vorherige Regierung jemals geschafft habe, innerhalb von zwei Jahren Steuern und Preise derart in die Höhe zu treiben.
„Ich bin stolz auf mein Land und es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, wie uns andere Länder links und rechts überholen“, sagt Kaniber. Aber in Deutschland fehle ja auch der Anreiz, die Ärmel hochzukrempeln, anzupacken, zu lernen und/oder zu arbeiten. Zum einen werde man durch höhere Steuern und Abgaben bestraft, das Geld umverteilt. Zum anderen werde man durch die Bürokratie zunehmend ausgebremst. Wobei: Das Bürokratiemonster sei auch hausgemacht, „wir Deutschen sind schon sehr klagefreudig.“ Aus Berlin müsse man sich ständig anhören, was man denken, nicht sagen, anpacken und umzusetzen habe – „und das von Menschen, die außer Politik nichts gemacht haben, nichts können“, sagt Kaniber.
Sie muss den lauten Beifall abwarten, bevor sie nachschieben kann, dass sie in ihrem Ministerium jetzt lieber einen „Praktikerrat“ installiere, von dem sie sich Unterstützung hole. Die Ministerin, die mit Mikrofon mitten im Saal steht, das Rednerpult oben auf der Bühne gar nicht erst betreten hat, schaut sich um und fragt in die Runde: „Was halten Sie denn von Speed-Dating mit ihrer Ministerin? Ich fänd‘ das toll. Ich will von Ihnen hören.“ Glänzende Augen bei vielen Männern, Kopfnicken und Applaus von beiden Geschlechtern.
Nach einer halben Stunde freier Rede, nur durch Stichpunkte gestützt, beendet Michaela Kaniber ihren Auftritt mit einem Versprechen: „Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich alle Ihre Probleme löse. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich für den Tourismus und die Gastronomie wie eine Löwin kämpfen werde.“
Wie eine Löwin kämpft seit Jahren Angela Inselkammer, die Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes. Sie scheut dabei auch vor klaren Worten nicht zurück. Wenn ein Bundeskanzler sagt, die sieben Prozent Mehrwertsteuer für die Gastronomie bleiben, werden nicht wieder erhöht, und wenn ein Bundesfinanzminister das Gleiche sagt, dann sollte sich die Branche darauf verlassen können. Doch dann komme ein Gerichtsurteil zum Milliardenloch im Haushalt, „und am dritten Tag fliegen wir aus der Kurve“. Wer so etwas mache, der tauge nicht zum Bundeskanzler oder zum Bundesminister. Deshalb dürften alle Mitglieder, die bei den Nachbarn, in den Vereinen und Dörfern aus ihrer Sicht dringend nötige Lobbyarbeit für die Gastronomie machten, auch gerne auf einen Regierungswechsel hinwirken.
450000 Arbeitsplätze bieten Gastronomie und Hotellerie allein in Oberbayern, so Inselkammer. „Wir sind relevant. Wir sind eine Macht. Aber wir sind kleinteilig“, ist sie sich des Nachteils der Branchenstruktur bewusst. Wenn ein Großunternehmen huste, eile die Politik sofort zur Rettung. Sie sei keine Freundin von Subventionen, aber „wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen.“ Da gehöre eine Mehrwertsteuer von sieben Prozent ebenso dazu, wie ausreichend Mitarbeiter, „möglichst gut ausgebildet, gerne auch aus dem Ausland“ und dazu gehörten weniger Gesetze und Bürokratie.
Dazu gehörten auch weniger Steuern, nicht nur für die Betriebe, sondern vor allem für deren Mitarbeiter. Über die Hälfte der Kosten im Gastgewerbe entfallen aufs Personal. „Und was bleibt den Mitarbeitern netto übrig? Das ist fast schon beschämend. Wir haben in Deutschland die höchste Steuerlast in ganz Europa.“
Wirtshauskultur
erhalten
Die Wirtshauskultur auf dem Land müsse erhalten bleiben, sagt Inselkammer, selbst Chefin eines Betriebes in einem 5500-Einwohner-Dorf südöstlich von München. „Denn wenn es uns nicht mehr gibt, dann kann auch keiner mehr in Bayern Urlaub machen.“ Es gebe zwar Wissenschaftler, die behaupteten, essen zu gehen wäre nur etwas für Reiche und Kinderlose, das sehe in Bayern aber deutlich anders aus. „Wenn aber Eltern bei einer Rad- oder Bergtour die Brotzeit für ihre Kinder aus einem Automaten ziehen müssen, weil es sich nicht mehr lohnt, eine Hütte oder ein Wirtshaus zu betreiben, dann stimmt doch etwas nicht.“
Das müsse doch auch die Bundespolitik sehen. „Und wenn es hart auf hart geht, dann müssen wir Bayern uns eben doch vom Rest trennen.“