Mitten im Arbeitsleben

von Redaktion

Wie die Wendelstein Werkstätten Inklusion und Integration von Menschen mit Behinderung umsetzen

Rosenheim/Landkreis – Inklusion und Integration von Menschen mit Behinderung: Das ist ein Ziel, das sich die Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben hat. Wirklich gute Arbeit in diesem Bereich leisten zum Beispiel die Wendelstein Werkstätten – drei Standorte gibt es allein in Stadt und Landkreis Rosenheim, in denen mehr als 800 Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten. 66 von ihnen sind in der Förderstätte – sie haben eine komplexe, meist geistige Beeinträchtigung.

Unter der Trägerschaft des Caritasverbands der Erzdiözese München und Freising wird Menschen mit Behinderung in Raubling, in der Rosenheimer Hochgernstraße und im Aicherpark die Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht. Ein Beitrag zur gesellschaftlichen Aufgabe, der nicht hoch genug geschätzt werden kann. Noch dazu entstehen Produkte, Dienstleistungen und Erzeugnisse, die sich auf dem Markt sehen lassen können.

„Coole Kollegen, coole Betreuer, Abwechslung und Power!“ So begründet Steffi Regauer, warum sie gerne bei den Wendelstein Werkstätten ist – und das seit knapp 20 Jahren. Sie arbeitet in der Hauswirtschaftsabteilung. Zu ihrem Betätigungsfeld gehört unter anderem die Reinigung und Hauspflege.

„Wir sind eine der wenigen Werkstätten, die sich selbst um die Hygiene im Haus kümmern“, betont Gruppenleiterin Frigga Harant. Auch ein paar Männer gehören zur Hauswirtschaftsabteilung. „Die fahren am liebsten den Porsche“, lacht Steffi Regauer und zeigt auf die große Reinigungsmaschine.

Zusammenarbeit
mit Sozialdienst

Die 39-Jährige hat in den Wendelstein Werkstätten ihre Ausbildung gemacht. „Nach einer Einführungswoche sucht man sich zusammen mit dem Sozialdienst drei Bereiche aus, die einen interessieren“, erklärt Harant. Je einen Monat kann man sich diese drei Berufsfelder genauer anschauen, danach folgt eine Grundausbildung von je vier Monaten pro Bereich. „Selbstverständlich kann man sich auch noch einen anderen Arbeitsbereich aussuchen.“ Neben der Hauswirtschaft kann man sich für Wäscherei, Küche, Schreinerei, Aktenvernichtung, Logistik, Industriemontage, Konfektionierung oder Metallbearbeitung entscheiden.

Ziel der Wendelstein Werkstätten ist es, Menschen mit Behinderung für den klassischen, „ersten“ Arbeitsmarkt auszubilden und zu qualifizieren. Derzeit arbeiten rund 50 Mitarbeiter in Betrieben außerhalb der Werkstätten. „Dazu müssen sie in der Lage sein, selbst an den Arbeitsplatz zu kommen“, erklärt Petra Rohierse, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing bei den Wendelstein Werkstätten.

Die Arbeit an sich in den Firmen ist für die Menschen mit Behinderung kein Problem – schwieriger wird es, was den Stress und den Druck angeht. Damit kommen sie häufig nicht so gut klar, sie brauchen für ihre Leistung möglicherweise Unterstützung, Begleitung und vor allem: mehr Zeit. Das war auch der Grund, warum Steffi Regauer in der Außenarbeit die Segel gestrichen hat. Sie kam mit dem Leistungsdruck nicht zurecht – und kehrte in die Wendelstein Werkstätten zurück. „Das steht jedem unserer Beschäftigten jederzeit frei“, erklärt Rohierse.

Ganz wichtig sei es, die Arbeit für Menschen mit Behinderung in kleine, einzelne und überschaubare Arbeitsschritte zu zerlegen, erklärt Harant. Dabei werden die Fähigkeiten, aber auch die individuellen Probleme des Einzelnen berücksichtigt.

Regauer zum Beispiel liebt es, die Waren zu konfektionieren – eine Arbeit, die in der Abteilung Hauswirtschaft hauptsächlich nachmittags erledigt wird. Essige, Öle, Bonbons und Gewürzmischungen werden abgemessen, verpackt und etikettiert. Regauer schätzt die Ruhe und Konzentration, die bei dieser Tätigkeit herrschen. Da sie nicht so gut sehen – und deshalb schwer abschätzen kann, wann die dunkle Ölflasche voll ist – kümmert sie sich um die Abfüllung von Essig in helle Flaschen.

Vorlieben und Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung ernst nehmen, bei Schwächen helfen und Fertigkeiten weiter entwickeln: Wie ernst die Mitarbeiter und Betreuer der Wendelstein Werkstätten ihre Arbeit nehmen, wird auch in der Förderstätte deutlich. Hier arbeiten Menschen mit komplexeren geistigen und körperlichen Einschränkungen, die zudem viel Pflege benötigen. „Wir vermitteln ihnen einen strukturierten Tagesablauf und bieten ihnen eine sinnstiftende Beschäftigung sowie ein soziales Umfeld, in dem sie sich weiterentwickeln können“, erklärt Förderstätten-Leiter Georg Czerny.

An einer Bildtafel steht der Tagesablauf für jeden Einzelnen – zum Beispiel die Erinnerung daran, am „CaBito“, einem barrierefreien Computersystem, mit dem der Speiseplan aufbereitet wird, zu arbeiten. Das ist eine Aufgabe, die zum Beispiel Patrick Autsch erledigt. „Sie hilft ihm dabei, sich im Lesen zu üben“, erklärt Czerny.

Wichtig ist das für Patrick, weil er am liebsten in der Werkstätte arbeiten würde – dafür aber nicht die benötigten Fähigkeiten besitzt. Nun helfen Czerny und seine zwei Mitarbeiter Patrick dabei, sich seinen Traum zu erfüllen. Autsch, der in seiner Freizeit DJ ist und gerne Musik auflegt, zum Beispiel im Eiskeller in Aschau, kann gut organisieren. Er ist gern im Kontakt mit Menschen und besitzt viele Talente, die er im Verwaltungsbereich einsetzen könnte. Um in die Werkstätte – und dort kommt für ihn vor allem eine Arbeit an der Pforte infrage – zu wechseln, ist das Lesenüben ein erster Schritt zum Ziel. „Es ist auch schon viel besser geworden“, findet Patrick, und Czerny stimmt ihm zu.

In der Förderstätte herrscht eine entspannte, freundliche Stimmung. Nach getaner Arbeit gibt es eine Pause. Es gibt etwas zu essen in der Werkstätten-eigenen Kantine. Genutzt wird die Erholungszeit auch, um Pflege-Aufgaben zu erledigen oder zum Beispiel an der Vorlesestunde teilzunehmen. „Wir haben Vorleser aus der Kollegenschaft, die den behinderten Menschen Bücher nahebringen“, erklärt Czerny. Und für diejenigen, die lesen können – oder es üben sollen – steht mittlerweile viel Literatur in einfacher Sprache zur Verfügung. Hilfreich sind auch die digitalen Hilfen für die behinderten Menschen: Tablets zum Beispiel, auf denen die Schrift größer gezogen werden kann, um sie besser zu lesen.

Die Arbeitsaufgaben in der Förderstätte wechseln, so wurden zum Beispiel schon einmal Kerzen für den Verkauf gezogen. Dafür fuhr die Gruppe auch zu dem Imker, um das Rohwachs zu holen. Einbezogen werden die behinderten Menschen auch in die Konfektionierung und den Verkauf. Auf diese Weise gibt es immer wieder etwas anderes zu tun, sie bekommen den Überblick über alle Arbeitsschritte und vor allem: Sie erleben den ganzen Prozess mit und können sich zum Schluss über den Erfolg freuen.

„Unsere Arbeit hier ist ungemein wichtig“, erklärt Max Engert. „Wir bieten unseren Beschäftigten einen geregelten Tagesablauf und damit eine Struktur. Gemeinschaft und Kontakt mit anderen: Sie können, ja sie müssen mit dem Kollegen oder der Kollegin oder mit uns kommunizieren.“ Ohne die Arbeit in der Förderstätte würden die Menschen mit Behinderung daheim sitzen – und vielleicht ihre Zeit mit langweiligem Nichtstun verbringen. „Wir sind die bessere Alternative“, sind die Fachkräfte Georg Czerny, Max Engert und Katharina Czerny überzeugt.

Wegweisende
Entscheidungen

Das findet auch Patrick Autsch: Während der Zeit, die er in der Förderstätte bislang verbracht hat, machte er große Schritte hin auf sein urtümliches Ziel. Nachdem er die anfängliche Enttäuschung, nicht in den Werkstätten arbeiten zu können, überwunden hat, traf er wegweisende Entscheidungen: Bei der Arbeit in der Förderstätte schult er seine Motorik und erlebt Gesellschaft in der Gruppe. Das trainiert die Skills, die er als Pförtner gut brauchen kann: freundlicher, diplomatischer und sachlicher Umgang mit anderen. Sprechen. Organisieren. Interaktion.

Auch privat hat sich in seinem Leben einiges verändert: Er ist von Aschau nach Prien gezogen. Hier ist der Bahnhof barrierefrei, und Autsch damit wesentlich mobiler und selbstbestimmter.

Auch wenn nicht alles glattgeht und das Leben Menschen mit Handicap immer noch viel zu viele Hindernisse in den Weg legt: Wenn es um Augenhöhe geht, um gegenseitigen Respekt und Aufmerksamkeit, um Freude und Zusammenhalt, die Wendelstein Förderstätten und Werkstätten leisten einen wertvollen Beitrag dazu. Als Arbeitgeber bieten sie Menschen mit Handicap die Möglichkeit, Berufs- und Arbeitsleben zu erfahren. Die Genugtuung, zur Produktion und Erzeugung von Waren und Dienstleistungen beizutragen, die am Markt begehrt sind und bei den Kunden und Kundinnen gut ankommen. Dazu kommt das Bildungs- und Teilhabeangebot. Darin finden sich Ausflüge in die Natur, ins Museum oder zum Bauerngolf, Erste-Hilfe- und Selbstbestimmungskurse und vieles andere mehr.

Respekt für
die Leistung

Abwechslungsreiche Aufgaben, Respekt für ihre Leistung, Unterstützung, wenn sie sie brauchen, betriebsinterne Feste und Veranstaltungen, fairer Umgang und dabei förderliche, lustige und kollegiale Atmosphäre, Essen in der betriebseigenen Kantine. Für Autsch und Regauer ist die Sache klar: Ihnen gefällt es in den Wendelstein Werkstätten.

Am schönsten wäre es natürlich, darin ist sich das Team von den Wendelstein Werkstätten und Förderstätten einig: Es gäbe noch mehr Anerkennung, Chancen und Unterstützung für Menschen mit Behinderung, denn ihr Beitrag in der Gesellschaft verdient den höchsten Respekt.

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