Wasserburg – Auf den ersten Blick erinnert die Produktionshalle der Wasserburger Pharmafirma Recipharm an Bilder aus der internationalen Raumstation ISS: Die Mitarbeiter verschwinden unter weißen Anzügen, Helmen und riesigen Handschuhen. Die Fachkräfte bewegen sich in Zeitlupe, so als befände sie sich in der Schwerelosigkeit des Alls. Doch so ist es nicht: Die Frauen und Männer in der unförmigen Schutzkleidung mischen Rezepturen für Medikamente, füllen diese ab in Injektionsfläschchen – in Reinräumen, in denen die Luft bis zu 50000-mal reiner ist als im häuslichen Wohnzimmer.
Schnelle Bewegung
wirbelt Luft auf
Jede zu schnelle Bewegung muss verhindert werden, denn sie könnte die Luft aufwirbeln und feinste Partikel freisetzen, berichtet der neue Geschäftsführer von Recipharm, Lucian Cira. Wer hier arbeitet, erhält nach seinen Angaben eine fünfmonatige Spezial-Ausbildung, bei der nicht die Schnelligkeit bei der Produktion im Fokus steht, sondern ganz bewusst die Langsamkeit, zumindest bei den Handgriffen. Sterilität ist das A und O des Firmenerfolgs, sagt Cira, der seit dem 1. Januar die Geschäftsführung innehat. In 50 Jahren Recipharm habe es nicht ein einziges Mal eine Reklamation als Folge einer Kontamination gegeben, berichtet der 37-Jährige stolz.
100 neue
Mitarbeiter gesucht
Recipharm befindet sich nach seinen Angaben stark auf Wachstumskurs. Mindestens 100 neue Mitarbeiter möchte das Unternehmen am Standort Wasserburg einstellen, berichtet Personalleiterin Kyra Werndorff. Bis zum Jahresende 2024 solle sich die Mitarbeiterzahl von derzeit 450 auf 500 bereits erhöht haben. In den vergangenen fünf Jahre habe Recipharm den Umsatz verdoppelt, Trigger für diese positive Entwicklung sei vor allem die CoronaKrise gewesen, so Cira. Als eines von etwa 20 Werke weltweit konnte das Wasserburger Pharmaunternehmen die modernen Impfstoffe gefriergetrocknet liefern. Ein Meilenstein in der Bekämpfung der Pandemie. Denn die ersten Impfstoffe, die auf den Markt gekommen seien, hätten ein großes Problem gehabt: eine komplizierte Kühlkette. Der Transport habe damals bei minus 80 Grad stattfinden müssen, erklärt der Geschäftsführer.
Die Gefriertrocknung habe eine Temperierung von minus 20 Grad ermöglicht, ein großer Fortschritt. Recipharm habe deshalb dazu beigetragen, dass die für die Bekämpfung von Corona so wichtigen Impfstoffe besser und schnell verfügbar gewesen seien. Die Gefriertrocknung von Infusions- und Injektionslösungen ist die Kerntechnologie am Standort Wasserburg. Seit dem ersten Tag der Gründung im Jahr 1974, damals noch Madaus, gelte Recipharm als der Experte in diesem Bereich, berichtet Cira. 2024 und 2025 werde der Pharmakonzern den Standort Wasserburg in diesem und weiteren Bereichen erneut ausbauen: Unter anderem gehen nach Angaben des Geschäftsführers neue Fertigungslinien an den Start, die auf die Produktion von Fertigspritzen setzen. Auch die hochwertigen neuen Biologika, biotechnologisch hergestellte Mittel wie die Abnehmspritze oder moderne Krebsmedikamente, können dann in Wasserburg hergestellt werden, betont Cira. 2025 soll auch eine modulare Produktlinie für Spritzen und Fläschchen eingeführt werden, in denen kleinere Chargen aus der Arzneimittel-Entwicklung beprobt werden, berichtet er.
Die Produktionserweiterung braucht Platz. Recipharm hat deshalb laut Cira die alte Straßenmeisterei in direkter Nachbarschaft gekauft, will Richtung Friedhof Am Herder erweitern: unter anderem um ein Schulungszentrum. Der Bebauungsplan sei bereits mit der Stadt Wasserburg abgestimmt worden, berichtet der Geschäftsführer.
Mutterkonzern
in Schweden
Der Mutterkonzern mit Hauptsitz in Schweden, einer der fünf größten pharmazeutischen Auftragsentwickler und -hersteller der Welt, setzt nach seinen Angaben auf den Standort Wasserburg, wichtigsten im global tätigen Unternehmensverbund. Im Tagesgeschäft kann Recipharm Wasserburg „relativ unabhängig und flexibel agieren“, so Cira, die Investment- und Budgetplanung sei natürlich abzusprechen. Fest stehe: Recipharm wolle in den Innstadt wachsen – massiv. Denn die Entwicklung neuer pharmazeutischer Produkte sei ein Zukunftsfeld. Das habe die Pandemie deutlich gezeigt, auch die Notwendigkeit, die deutsche Pharmabranche unabhängiger zu machen, um die Versorgung sicherzustellen.
Natürlich bereite die Wirtschaftskrise auch Recipharm Probleme, betont Cira. Die steigenden Energie- und Materialkosten würden Sorgen bereiten, ebenso wie Lieferengpässe. Deshalb gehe kein Weg an noch effizienteren Abläufen und Prozessoptimierungen vorbei. Hier befinde sich Recipharm in einem dauerhaften Prozess.
Bis 2030 will das Unternehmen nach eigenen Angaben außerdem so weit wie möglich weg vom Gas, mit Hilfe von Wärmepumpe und Wärmerückgewinnung. Bereits heute produziere Recipharm zu hundert Prozent mit Ökostrom, Partner seien die Stadtwerke Wasserburg. Sie beliefern alle vier Recipharm-Werke in Deutschland, berichtet Cira. Nur ein Problem hat der Standort, sagt er: Beim Kampf um Fachkräfte stehe das Unternehmen in Konkurrenz zum pharmazeutisch stark geprägten Großraum München. Die ÖPNV-Anbindung von Wasserburg mit eigenem Bahnhof in Reitmehring sei gut, „doch dann müssen die Pendler in den Stadtbus umsteigen, um Wasserburg zu erreichen.“ Auch bezahlbarer Wohnraum für Mitarbeitende werde dringend gesucht.
Ein hauseigenes Problem will Cira angehen: den historisch bedingten Streit bei Recipharm um Tariflöhne. Die Bezahlung per hauseigenem Tarifvertrag, vergleichbar mit dem Flächentarif, stehe ganz oben auf der Agenda, betont der Geschäftsführer.
Bürokratische
Hürden sind hoch
Weitere Herausforderung: Die Pharmabranche sei von Natur aus ein Industriezweig, der stark reguliert werde. Die bürokratischen Hürden seien vor allem in Europa sehr hoch, bedauert Cira. Umso besser gestalte sich die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene mit der Stadt Wasserburg und Bürgermeister Michael Kölbl. Die Beziehungen seien sehr gut, auch zum Landkreis, wo Recipharm das größte Pharmaunternehmen darstellt. Cira macht im Gespräch mit der Redaktion deutlich, dass er sich als Geschäftsführer in Wasserburg gut unterstützt und wohlfühlt. Das hat auch persönliche Gründe, denn der 37-Jährige stammt aus Rumänien. Der Apotheker ist in Siebenbürgen aufgewachsen, sein Wunsch war auch in Deutschland ein Arbeitsplatz nah an den Bergen. Nach Stationen in führenden Positionen unter anderem bei Sandoz und Teva Ratiopharm passt das Angebot, die Recipharm-Geschäftsführung in Wasserburg zu übernehmen, sehr gut, berichtet er.
Der 37-Jährige ist mit einer Ärztin verheiratet und hat zwei Kinder, fünf und elf Jahre alt. Seinen Führungsstil beschreibt er als kollegial. „Meine Tür ist immer offen, jeder kann mich ansprechen.“ Er sei außerdem „ziemlich direkt“ in der Kommunikation. Außerdem könne er „sehr fordernd sein“, berichtet er schmunzelnd. „Ich bin kein Fan von Bürokratie. Wenn ich was besprochen habe, gibt es kein Ja und Aber, sondern stets ein klares Ergebnis.“