Anger – Mit dem Ausbau der Bahnstrecken zwischen München über Mühldorf und Freilassing sowie über Rosenheim nach Salzburg will die Deutsche Bahn im kommenden Jahrzehnt zwei Verkehrs-Nadelöhre zeitgemäß modernisieren. Dies soll die Transportkapazitäten und -geschwindigkeiten deutlich erhöhen. Bis es so weit ist, könnte durch Umbaumaßnahmen und Sperrungen allerdings ein Verkehrschaos ungeahnten Ausmaßes auf die Bürger in Südostoberbayern zukommen. Dies wurde im Rahmen eines Info-Termins mit Vertretern der Bahn deutlich, den die IHK-Regionalausschüsse Traunstein und Berchtesgadener Land gemeinsam im Hans-Peter Porsche Traumwerk in Anger veranstalteten. Eingangs stellte Jens Wucherpfennig, Leiter der IHK-Geschäftsstelle in Rosenheim, Nadja Kamieth vor. Die Industriekauffrau, studierte Politologin und Soziologin mit vielfältigen Erfahrungen in Politik, Industrie und öffentlichem Dienst, hat seit Kurzem die neu eröffnete IHK-Geschäftsstelle in Traunstein übernommen. Als Ansprechpartner soll sie aufgrund der gestiegenen Aufgabenfülle „die IHK-Interessen vor Ort auf kurzem Wege vertreten“. Irene Wagner, Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses BGL, hob die Bedeutung des Bahn-Ausbaus auf der Strecke ABS 38 München – Mühldorf – Freilassing für die Wirtschaft in Südostbayern und speziell das Chemiedreieck hervor. Positive Nachrichten über Planungsfortschritte bei der Bahn würden durch Berichte über Rechtsänderungen, Haushaltskürzungen und die geplante Generalsanierung des Schienenkorridors München – Rosenheim – Salzburg konterkariert. Deshalb hätten sich die beiden IHK-Regionalausschüsse gemeinsam um einen „Info-Termin aus erster Hand“ mit Bahnvertretern bemüht. Dieser diene auch für eine gemeinsame Positionsabstimmung. Einblick in die aktuellen Planungen auf der ABS 38 gab Projektleiter Alexander Pawlik von der DB InfraGO AG. Wie er berichtete, habe die Aufhebung des 2020 eingeführten Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes im Oktober 2023 wieder für mehr Verfahrenssicherheit im Projekt gesorgt. So könnten die Baurechte jetzt im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens erteilt werden. Bis Ende 2025 sollen sämtliche Genehmigungsunterlagen für alle 14 Planfeststellungsabschnitte eingereicht werden. Die Erteilung des Baurechts sei auch Voraussetzung für die Finanzierungszusagen. Die Bauausführung ist ab 2028 vorgesehen. Die Inbetriebnahme soll Mitte der 2030er-Jahre erfolgen. Generell besitze die 145 Kilometer lange Strecke zwischen München über Mühldorf nach Freilassing als Teil der Magistrale Paris – Budapest und Hauptverkehrsroute für die Anbindung von Südostbayern „einen sehr hohen Stellenwert für den Verkehr“. Das Maßnahmenpaket mit Elektrifizierung, zweigleisigem Ausbau, Schall- und Umweltschutz- sowie Modernisierungsvorhaben für die Bahnhöfe umfasst laut Pawlik vier übergeordnete Planungsabschnitte mit Kosten von jeweils 300 bis 400 Millionen Euro. Dass die Modernisierung und Digitalisierung der Strecke und Bahnhöfe „dringend erforderlich“ seien, zeige nicht zuletzt die Tatsache, dass die ältesten Stellwerke von 1898 stammen. Durch den Ausbau könnten nicht zuletzt 120 Millionen Pkw-Kilometer, 20 Millionen Lkw-Kilometer und 23000 Tonnen CO2 jährlich eingespart werden. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören unter anderem die Errichtung von Überholbahnhöfen mit Nutzlängen von 740 Metern für Güterzüge, neue digitale Stellwerke, der Ausbau des elektrifizierten Abzweigs nach Burghausen, eine neue Verbindungskurve im Bereich Tüßling von Burghausen nach Freilassing für den Güterverkehr, barrierefreie Zugänge an den Bahnhöfen, der fernverkehrstaugliche Ausbau des Bahnhofs in Mühldorf sowie zwei neue Haltepunkte in Freilassing Nord und Saaldorf-Surheim. Aktuell in den Startlöchern steht die Elektrifizierung der etwa 40 Kilometer langen Strecke von Mühldorf nach Simbach und weiter bis zur österreichischen Grenze.
Ergänzend zum ABS 38-Ausbau stellte Alexandra Geißert, Leiterin Fahrplan und Kapazitätsmanagement Süd der DB InfraGO AG, die Generalsanierung des Schienenkorridors München – Salzburg über Rosenheim vor. Den Anfang macht ihren Worten nach eine Komplettsperrung der beiden Gleistrassen Rosenheim – Salzburg von Anfang Februar bis Anfang Juli 2027, an die sich im 1. Halbjahr 2028 die Sperrung der Strecke München – Rosenheim anschließen.
In der Diskussion warnte Logistiker Thomas Eberl, Vorsitzender des Wirtschaftsverbands Traunstein, angesichts von Staus und völlig überlasteten Autobahnen, unzureichend organisiertem Schienenersatzverkehr und gesperrten Bahnstrecken vor einem „handfesten Verkehrschaos“, das Pendler und Wirtschaftsbetriebe in besonderer Weise betreffe. „Stimmen sich Bahn und Autobahn-Verantwortliche in den Planungen ab?“, wollte Irene Wagner wissen. „Wir sprechen miteinander“, antwortete Geißert. „Da wird gefühlt für zehn Jahre alles dichtgemacht“, gab Jens Wucherpfennig zu bedenken. Deutlich wurde: Es besteht viel Rede- und Abstimmungsbedarf. Axel Effner