Wasserburg – „Das war eine große Überraschung und eine schöne Anerkennung meiner Arbeit“, sagt Johanna Arnold. Erst Anfang Oktober hatte sie den entscheidenden Anruf aus Österreich bekommen. Am anderen Ende der Leitung: Die stellvertretende Vorsitzende der Bundeskammer der Ziviltechnikerinnen (der österreichischen Bundesingenieurkammer), Eva Eyüre, die ihr mitteilte, dass sie beim internationalen Wettbewerb „anotHERVIEWture Award“ in der Kategorie „Nationale/internationale Ingenieurinnenleistung des Jahres“ den ersten Platz gemacht habe.
Besondere Leistungen für die Baukultur
Dieser Preis ist eine gemeinsame Auszeichnung der österreichischen, deutschen und schweizerischen Bundesingenieurskammern, mit 5000 Euro dotiert und wird ausschließlich an weibliche Vertreter der Ingenieurskunst vergeben, „die besondere Leistungen für die Baukultur erbracht haben“. Seit vergangenen Donnerstag hält also die Geschäftsführerin des noch recht jungen Wasserburger Bauingenieurbüros „Shortlist“ diesen wichtigen Preis in den Händen. Entgegengenommen hatte sie diesen im Rahmen einer offiziellen Ehrung im Museum für angewandte Kunst in Wien. Natürlich waren auch ihre beiden Kinder Leilani (16) und Ben (11) dabei, schließlich gibt es so ein aufregendes Ereignis nicht alle Tage. „Ich habe mich beworben, weil ich fand, dass ich da gut reinpasse“, erklärt die junge Bauingenieurin. Nach ihrem Studium in München hatte sie zunächst als Angestellte gearbeitet und parallel ihren Master gemacht. 2018 dann entschied sie sich zur Gründung eines Ingenieurbüros für Tragwerks- und Fassadenplanung in der Innstadt, „so ziemlich aus dem Nichts“, wie sie heute sagt, und war als Gründerin zunächst allein.
Wichtig sei ihr gewesen, zum einen bei ihrer Familie in Wasserburg zu wohnen, aber auch für sich die Möglichkeit zu schaffen, „moderne Inhalte und Arbeitsweisen in meinen Berufsalltag integrieren zu können“, so Arnold.
Natürlich brachte sie beste Expertise mit aus ihrem Studium, und gab diese Erfahrung wenige Jahre, nachdem sie sich selbstständig gemacht hatte, bereits selbst als Lehrbeauftragte der Technischen Universität München und der Fachhochschule Salzburg weiter. „Mir hat vor allem das wissenschaftliche Arbeiten Spaß gemacht und die Forschung im Bereich digitale Entwicklung in der Planung mehrgeschossiger Holzgebäude“, berichtet die Jungunternehmerin.
Sechs Jahre nach Bürogründung gab es „Shortlist“ auch in München – die Auftragslage hatte das nötig gemacht. „In Wasserburg habe ich leider keine Ingenieurinnen und Ingenieure gefunden, also bin ich auch nach München gegangen“, sagt Arnold.
Vom Ein-Frau-Büro zum Mittelständler
Mittlerweile zählt sie zwölf Mitarbeiter (vier davon arbeiten in Wasserburg) und Trainees, wickelt 70 Bauprojekte pro Jahr ab, vornehmlich im Raum Oberbayern, aber auch rund um Stuttgart, an der Nordsee oder in Österreich und kommt auf einen Jahresumsatz von 1,1 Millionen Euro im Jahr (brutto). Damit hat sich das Ein-Frau-Büro innerhalb kürzester Zeit zu einem mittelständischen Unternehmen gemausert.
Dass sie so schnell wachsen konnte, hat Johanna Arnold nach eigenen Aussagen der Spezialisierung ihres Büros auf die Holzbautechnik zu verdanken und dem Bedarf an dieser sehr klimafreundlichen Bauweise. Für den Wettbewerb hatte sie das Projekt „Multifunktionales Bürogebäude in Modulbauweise in Bad Aibling“ eingereicht. Das Gebäude wurde in Holzbauweise errichtet und setzt sich aus einzelnen Modulen zusammen. Die Bauingenieurin hatte dafür die Tragwerksplanung gemacht und die Entwicklung der neuartigen Konstruktion.
„Die Nachhaltigkeit des Gebäudes zeichnet sich zum einen durch den Baustoff Holz aus“, erklärt Arnold. „Aber auch durch die langfristig flexiblen Nutzungsmöglichkeiten innerhalb des Lebenszyklus.“ Das bedeutet, dass das Gebäude, in dem aktuell – unter anderem – das Polizeipräsidium Rosenheim untergebracht ist, so konstruiert ist, dass es zu einem späteren Zeitpunkt mit wenig Aufwand räumlich umgestaltet werden kann: Innenwände können so „umgesteckt“ werden, dass die so neu entstandenen Räume vollkommen anders genutzt werden können – etwa als private Wohnräume. Hinter diesem scheinbar einfachen Kniff steckt hoch spezialisiertes Know-how, das die Jury des Wettbewerbs offenbar überzeugte.
Trotz Baukrise
hat sie Zuversicht
So blickt die Jungunternehmerin trotz schwächelnder Konjunktur und aktueller Baukrise mit Zuversicht in die Zukunft. Schließlich stecke im Holzbau enorm viel Potenzial, denn man wolle klimafreundlich und CO2-arm bauen. Auch möchte sie Frauen in der Branche Mut machen. „Mich würde es freuen, wenn ich andere motivieren könnte, als Ingenieurin ihre berufliche Zukunft selbst in die Hand zu nehmen“, so Johanna Arnold.