Landkreis Altötting/Mühldorf – Die aktuelle Krise der deutschen Automobilindustrie hat weitreichende Folgen für das sogenannte Bayerische Chemiedreieck. Hier, in den Landkreisen Altötting und Mühldorf, beeinflusst der wirtschaftliche Abschwung der Autoindustrie unmittelbar die Chemieunternehmen und Zulieferbetriebe. Ingrid Obermeier-Osl, Vizepräsidentin der IHK und Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses, warnt: „Unsere ganze Region ist auf eine gute und erfolgreiche Zukunft der Chemieindustrie angewiesen.“
Eine Region im
Wandel
Laut Obermeier-Osl fallen die Umsätze der Branche, die bereits seit 2018 rückläufig sind, weiter. Die Automobilkrise sorgt dabei für zusätzliche Belastungen, und viele Unternehmen halten geplante Investitionen zurück oder verlagern sie ins Ausland. Das Bayerische Chemiedreieck, das mit über 20000 direkten Arbeitsplätzen eine zentrale wirtschaftliche Säule der Region darstellt, erlebt seit Jahren einen Produktionsrückgang. Der wirtschaftliche Abschwung der Autoindustrie trifft hier nicht nur die Kunststoff- und Silikonherstellung, die für die Autoproduktion entscheidend sind, sondern führt auch zu Unsicherheiten bei Energiepreisen und Bürokratie, so Tilo Rosenberger-Süß von InfraServ Gendorf. „Bereits in den vergangenen beiden Jahren haben wir darauf hingewiesen, wie erheblich die Herausforderungen, insbesondere Energiekosten, die Chemieindustrie beeinflussen“, sagt er. Der Chemiepark Gendorf verzeichnete in diesem Zeitraum einen Rückgang der Produktionsmengen um über 20 Prozent. Rosenberger-Süß ergänzt, dass die hohe Energieintensität der Region zusätzlichen Druck erzeugt. Ein nachhaltiger Bürokratieabbau und wettbewerbsfähige Energiekosten seien daher Kernforderungen der Branche.
Auch die weltweit agierende Wacker Chemie AG, mit einem wichtigen Standort im Bayerischen Chemiedreieck, spürt die Auswirkungen der Automobilkrise. Besonders Silikone, die etwa für Elektronikverkleidungen und Batterieabdichtungen verwendet werden, sind in den Lieferketten für Autohersteller relevant. Unternehmenssprecher Christoph Kleiner erklärt, dass die sinkenden Absatzzahlen der deutschen Autohersteller in vorgelagerten Lieferketten zu spüren seien. Gleichzeitig hebt er jedoch die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens hervor: „Wacker hat den großen Vorteil, dass es mit seinem Portfolio, das 3000 Produkte umfasst, ganz unterschiedliche Märkte und Regionen bedient.“ So konnten Absatzmengen und Erlöse im Geschäftsbereich Silikone im dritten Quartal 2024 trotz der Probleme in der Autoindustrie sogar noch gesteigert werden.
Der hohe Exportanteil der Chemiebranche, der im Chemiedreieck bei 60 Prozent liegt, verstärkt die Herausforderungen, da geopolitische Spannungen und drohende Handelskonflikte hinzukommen. „Strafzölle oder Handelsstreitigkeiten bekommen unsere Unternehmen hautnah zu spüren“, so Obermeier-Osl.
Die IHK fordert daher mehr Klarheit und Unterstützung seitens der Politik, denn die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen seien derzeit für viele Betriebe ein großes Hindernis. Obermeier-Osl betont: „Nur acht Prozent der Betriebe gehen davon aus, dass sich die Geschäfte verbessern.“ Wichtige Ansatzpunkte für eine bessere Zukunft seien laut ihr verlässliche wirtschaftspolitische Entscheidungen, Bürokratieabbau und eine Modernisierung des Standortes.
Dr. Bernhard Langhammer, Sprecher der ChemDelta Bavaria, erinnert daran, dass die chemische Industrie meist Vorprodukte für weitere Verarbeiter herstellt, die erst indirekt in die Automobilbranche einfließen. Doch der Effekt der Automobilkrise ist spürbar: „Da die Chemische Industrie weit vorne in den Wertschöpfungsketten liegt, haben wir den Abschwung bereits seit Jahren zu spüren bekommen“, erklärt Langhammer. Seit 2018 sinken die Produktionsmengen im Chemiedreieck, und viele Anlagen sind nur noch teilweise ausgelastet. Auch hier werden kaum noch Investitionen getätigt.
Die lang anhaltende Krise sei für den Standort belastend und die Margen zunehmend gefährdet. Ein Lichtblick scheint die Siltronic AG zu sein. Trotz des herausfordernden Marktumfelds sieht das Unternehmen mittelfristig großes Wachstumspotenzial. „Megatrends wie künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Elektromobilität sind hier wesentliche Treiber“, erklärt Katrin Robe von Siltronic. Diese Entwicklungen könnten der Siliziumindustrie neue Wachstumsfelder eröffnen und der Region zumindest punktuell Stabilität bieten.
Das Chemiedreieck und seine Unternehmen setzen ihre Hoffnungen in eine Wende der Wirtschaftspolitik. Laut Obermeier-Osl könnten langfristige Investitionen nur durch einen klaren, verlässlichen Kurs auf Bundesebene gesichert werden. Rosenberger-Süß betont die Wichtigkeit nachhaltiger Bürokratieentlastung und Energiepreise, um den Standort zu sichern. „Unser Ziel ist es, unseren Standortkunden weiterhin eine wettbewerbsfähige Infrastruktur sowie optimale Rahmenbedingungen für ihre Produktion zu bieten“, erklärt er und verweist auf laufende Transformationsprojekte zur klimaneutralen Produktion bei InfraServ Gendorf.
Strategische
Veränderungen
Die Herausforderungen sind erheblich, doch wie Obermeier-Osl betont, könnten strategische Veränderungen das Blatt noch wenden. „Kleine Schritte, zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien, sind getan“, resümiert sie, „aber es braucht eine grundlegende Modernisierung unseres Standorts.“ Solange politische Entscheidungsträger hier keine nachhaltigen Maßnahmen umsetzen, bleibt die Situation für das Chemiedreieck und seine Unternehmen weiter unsicher.