Wasserburg – Gerd Maas (57) ist seit 2006 Mitglied im Regionalvorstand Südostbayern der Familienunternehmer e.V. Für den Verband sitzt er auch im Landesvorstand. Der Unternehmer, der mit seiner Frau Heike einen Familienbetrieb für Dienstleistungen im Projektmanagement führt, hat sich auch einen Namen als Publizist gemacht. Im Fokus: die Wirtschaftsethik und die Soziale Marktwirtschaft. Was die deutsche Wirtschaft jetzt braucht und wie es gelingen kann, das Ruder herumzureißen, erläutert der Wasserburger im Interview.
Die von den Familienunternehmern viel kritisierte Ampel-Regierung ist Geschichte. Doch bis zum Start einer neuen Wirtschaftspolitik wird es noch dauern. Wie sehr eilt es mit einer wirtschaftspolitischen Wende?
Die Wirtschaftsweisen haben gerade ihre Wachstumsprognose für Deutschland gegen null gesenkt. Die Vorsitzende Monika Schnitzer spricht ausdrücklich von strukturellen Problemen und Versäumnissen der Politik. Laut DIHK erwägen vier von zehn produzierenden Unternehmen die Verlagerung ins Ausland. Auch Mittelständler. Auch Familienunternehmer. Symptomatisch der Stellenabbau von 1300 Stellen bei Miele. Der ehemalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn spricht seit sieben Jahren von Deindustrialisierung. Und an der Wertschöpfung der Industrie hängt mehr oder weniger die ganze restliche Wirtschaft. Wenn man sich unter Unternehmern bei uns im Raum umhört, verlieren immer mehr schlicht den Spaß am Unternehmerdasein: unendliche Bürokratie, Energiekosten, höchste Steuern für Unternehmen und Mitarbeiter, die schon über die Grenze nach Österreich oder Tschechien deutlich geringer ausfallen. Alles nicht nur Vorwarnungen, sondern Alarmglocken, dass eine wirtschaftspolitische Wende nötig ist. So schnell wie möglich.
Die Familienunternehmer nennen das Lindner-Grundsatzpapier zur Wirtschaftswende einen „Befreiungsschlag“. Welche Punkte sollen in einer neuen Regierung umgesetzt werden?
Steuersenkungen und Entlastungen bei den Energiekosten sind, meine ich, die wichtigsten, weil am schnellsten wirksamen Maßnahmen und unmittelbare Impulse für die Unternehmen. Bei den Steuern kann man zum Beispiel blitzschnell handeln, indem man den Solidaritätszuschlag abschafft. Das wissen ja viele gar nicht, dass der Soli bei der Körperschaftssteuer für jede GmbH unverändert aufgeschlagen wird. Und bei der Einkommenssteuer trifft der verbliebene Anteil häufig Einzelunternehmer. Menschen, die, wenn ihnen vom Umsatz mehr übrig bleibt, das meist nicht verpulvern, sondern in ihren Betrieb investieren. Zum Beispiel in die Energiewende. Wenn man aber nur gerade so über die Runden kommt und die Aussichten trübe sind, baut man sich keine PV aufs Dach. Übrigens: Auch die Energie ist in erster Linie wegen der Steuern teuer, denn der größte Anteil der Energiekosten sind Steuern.
Im Lindner-Papier stehen aber auch radikal anmutende Forderungen zur Kürzung von Sozialleistungen. Droht bei der Umsetzung nicht eine Gefahr für den sozialen Frieden im Land?
Wir müssen jedenfalls endlich wieder anfangen, unser Gemeinwesen von der Schaffen-Seite her zu denken: Alles, was ausgegeben werden soll, muss erst einmal geschafft, das heißt erwirtschaftet werden. Für Sozialleistungen werden inzwischen knapp 1,2 Billionen Euro jährlich ausgegeben (Merkur, 9. April 2024, „1,2 Billionen Euro: Deutsche Sozialausgaben haben sich fast verdreifacht“ von Max Schäfer). Das ist mehr als ein Viertel unserer gesamten Wirtschaftsleistung. Mit Transfers tritt der Staat, wenn ich noch einmal Hans-Werner Sinn zitieren darf, inzwischen als Konkurrent der Wirtschaft auf dem Arbeitsmarkt auf. Zugleich schafft der Bund es nicht, trotz seit vielen Jahren real wachsender Steuereinnahmen, Zukunftsinvestitionen zum Beispiel in die Straßen und Schieneninfrastruktur, Stromnetze oder die Verteidigung zu tätigen. Unternehmen und Arbeitnehmer werden im OECD-Vergleich schon annähernd höchstmöglich geschröpft. Woher sollen also die Mittel kommen, wenn nicht endlich jemand den Mut hat, am größten Brocken der Ausgabenseite anzusetzen? Die Idee von Kanzler Scholz, die Schuldenbremse auszuhebeln, trotz Höchsteinnahmen also die Lasten auf künftige Generationen zu verlagern, halte ich schlicht für unmoralisch.
Im Lindner-Papier steht auch der sofortige Stopp neuer Regulierungsmaßnahmen. Den Bürokratieabbau hatte sich ja auch die Ampel-Regierung auf die Fahnen geschrieben. Warum ist dies so schwer durchsetzbar und was braucht die deutsche Wirtschaft, damit es zu einem echten Regulierungsabbau kommt?
Bürokratieabbau ist dann schwierig, wenn man als Politik meint, alles im Detail besser zu wissen, als es sich im Wettbewerb auf einem Marktplatz der Ideen ergeben würde. Besserwisserei muss erzwungen werden. Bessere Ideen setzen sich von selber durch, wenn man ihnen den Freiraum dazu gibt. Das hat die Wohlstandsentwicklung in der Sozialen Marktwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll bewiesen. Politik muss den Mut haben, den Rahmen für Gemeinwohl und Nachhaltigkeit zu setzen und sonst nichts. Tatsächlich sind wir inzwischen in einem Extremum der Bürokratie, dass wir uns als Unternehmen nicht nur an immer mehr Regeln halten müssen, sondern auch noch jedes Mal dokumentieren sollen, wenn wir uns an eine Regel gehalten haben – siehe Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, Datenschutzgrundverordnung oder Nachhaltigkeitsreporting. Ein Unternehmer aus der Region hat mal gemeint: Stell dir vor, du fährst Auto und musst jedes Mal aufschreiben, wenn du an einer roten Ampel wirklich stehen geblieben bist, die Vorfahrt an einer Kreuzung wirklich beachtet hast, einen Fußgänger am Zebrastreifen wirklich rübergehen hast lassen und und und. So nervtötend fühlt sich Unternehmertum heute oft an. Wenn dann die Bundesregierung im jüngsten Bürokratieentlastungsgesetz vorschlägt, die Aufbewahrungspflicht für Unterlagen von zehn auf acht Jahre zu senken – während bei Strafprozessen aber weiterhin zehn Jahre alte Akten als Beweise gefordert sein können – dann wird es kafkaesk.
Nehmen wir mal an, wir haben spätestens im Frühjahr eine neue Regierung. Bis sie sich eingearbeitet hat, dauert es trotzdem einige Wochen, wenn nicht gar Monate. Erleben wir 2025 nicht automatisch das dritte Rezessionsjahr in Folge?
Die Gefahr ist groß, weil auch eine wieder anspringende Investitionsbereitschaft erst einmal realisiert werden muss. Aber ich habe ja vorher schon den Spaß am Unternehmertum erwähnt. Das wird gerne unterschätzt. Ebenso die Bedeutung der Freiheit. Die Freude am Selbstgeschafften und die Motivation, sein eigener Herr sein zu können, sind die mit Abstand wichtigsten Triebfedern für Unternehmer. Persönlichen Gewinn könnten die allermeisten in Anstellungen leichter erwirtschaften. Und das kann ein Politikwechsel schnell schaffen: eine Atmosphäre der Freiheit und Wertschätzung der unternehmerischen Verantwortung und Risikobereitschaft. Und dann kann schnell ein Ruck durchs Land gehen.
Interview Heike Duczek