Landkreis Altötting – Die Chemiebranche steckt in der Krise – auch im Bayerischen Chemiedreieck. Erst kürzlich meldete die Wacker Chemie in Burghausen, dass es angesichts rückläufiger Ergebnisse 2026 voraussichtlich zu einem Stellenabbau kommt. Laut den Bayerischen Chemieverbänden ist das Produktionsniveau inzwischen deutschlandweit auf den Stand der 1990er- Jahre zurückgefallen. Auch die Sorge um einen weiteren Stellenabbau wächst. Die Chemieverbände berichten von einem „toxischen Mix“ an Problemen und plädieren für eine unverzügliche Umsetzung von Notmaßnahmen, damit die „industrielle Substanz“ noch gerettet werden könne.
Laut Dr. Roland Appel, dem Geschäftsführer der Bayerischen Chemieverbände, ist die Lage der Chemieindustrie bundesweit sehr angespannt – und dies mache auch vor dem Bayerischen Chemiedreieck keinen Halt. „Schwache Nachfrage, sinkende Umsätze und eine Produktion weit unter Vorkrisenniveau machen der gesamten Branche schwer zu schaffen“, so Appel. Die kürzlich veröffentlichte Konjunkturumfrage des ifo-Instituts zeugt von einer massiven Verschlechterung des Geschäftsklimas in der Branche. Grund für den Pessimismus sei die schlechte Auftragslage, die mit minus 68,9 Punkten auf den tiefsten Wert seit über drei Jahrzehnten fiel.
Appel berichtet zudem von einem Absinken der bundesweiten Kapazitätsauslastung von Chemie und Pharma, die inzwischen seit drei Jahren ständig unterschritten worden sei und weit unter der Rentabilitätsschwelle liege. „Das Produktionsniveau von Chemie (ohne Pharma) ist bundesweit auf den Stand der frühen 1990er-Jahre zurückgefallen“, so Appel. Eine Trendwende sei nicht in Sicht, die Auftragseingänge seien weiter rückläufig.
„Zwar zeigen die Beschäftigungszahlen der Branche bislang wenig Veränderung, doch eine Analyse des Bundesarbeitgeberverbands (BAVC) verdeutlicht, dass in der Chemiebranche bereits seit 2022 ein Stellenabbau von minus drei Prozent erfolgt ist“, so Appel. „Die anhaltenden, extrem schwachen Wirtschaftsdaten und die fehlende Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland lassen weitere Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten befürchten“, warnt er.
Ursache für die Krise sei ein „toxischer Mix“ aus Problemen, so der Geschäftsführer der Bayerischen Chemieverbände. Die Energiekosten, bestehend aus Gas- und Strompreisen, Netzentgelten und CO2-Zertifikatskosten, seien in Deutschland schon lange nicht mehr wettbewerbsfähig. Die zunehmende Bürokratie, die ihren Ursprung unter anderem in EU-Chemikalien- und Umweltregulierung, den Anforderungen an Industrieanlagengenehmigungen und Lieferkettensorgfaltspflichten hat, sorge für weiteren Aufwand.
Zusätzlich spielten auch geopolitische Spannungen sowie neue Handels- und Zollbarrieren eine große Rolle und schwächten neben der Chemiebranche die gesamte deutsche Industrie. „Neben schwachen konjunkturellen Impulsen sind es aber vor allem hausgemachte Probleme am Standort Deutschland, die den Unternehmen zusetzen“, so Appel.
Denn gerade weniger oder nicht wettbewerbsfähige Standorte – wie Deutschland – würden mit besonderer Härte von konjunkturellen Schwächephasen getroffen. Um die industrielle Substanz noch erhalten zu können, schlägt der Verband der Chemischen Industrie (VCI) eine unverzügliche Umsetzung standortpolitischer Notmaßnahmen vor: Zum einen wird eine Kostenentlastung durch Strompreiskompensation und ein Industriestrompreis gefordert. Auch bezüglich der erheblichen Kosten für Netzentgelte müsse eine Entlastung erfolgen. Um den Standort wettbewerbsfähiger zu machen, müsse der EU-Emissionshandel reformiert und angepasst werden – sonst drohe eine Produktionsverlagerung in andere Regionen.
Daneben hat der VCI 30 konkrete Forderungen an die EU-Kommission gerichtet, die sich auf Umweltregularien beziehen. Insgesamt müsse der Rechtsrahmen für chemische Stoffe (REACH) vereinfacht werden. „Neben diesen Notmaßnahmen muss die Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit insgesamt wieder mehr in den Fokus rücken“, plädiert Appel, denn ohne eine gesunde, investitionsfähige Industrie seien die Nachhaltigkeitsziele nicht erreichbar und der Wohlstand nicht zu erhalten.