Das Dirndl wird zum Ladenhüter

von Redaktion

Heimische Trachtenhersteller und -händler erleiden bis zu 90 Prozent Umsatzeinbußen

Mühldorf/Rosenheim – Die Absage nahezu aller großen Feste im Zuge der Corona-Krise trifft die Trachtenwirtschaft hart. Von dramatischen Umsatzeinbrüchen berichten Hersteller und Vertreiber von Trachtenmode. „So was hat uns noch nicht getroffen, das hat uns zehn Jahre Arbeit gekostet“, sagt Erich Koller, geschäftsführender Gesellschafter von Country Line in Mühldorf.

Gewaltige
Stornos

Auf 85 Prozent taxiert Koller das Absatzminus für die drei Geschäfte des Unternehmens in Bayern. Für die 13 Geschäfte in Österreich sieht er die Einbußen bei 80 bis 90 Prozent, für die in Südtirol bei 90 Prozent.

Gewaltige Stornos habe Country Line bei den Bestellungen der Fachgeschäfte für Herbst zu bewältigen und auch in die nähere Zukunft blickt Koller pessimistisch: Bestellungen für das kommende Frühjahr hält er für unwahrscheinlich, denn die Lager in den Geschäften seien voll. Die Ware müsse in den nächsten Jahren verkauft werden. Der einzige Vorteil dabei für die Trachtenkollektionen: „Es steht keine Jahreszahl auf der Kleidung.“ Und für die Produzierenden werde 2021 erst richtig schwierig.

Mit einer Eigenkapitalquote von über 90 Prozent sieht Koller sein Unternehmen gut aufgestellt: „Dadurch überstehen wir das.“ Drei bis fünf Jahre wird es nach seiner Einschätzung dauern, bis die Geschäfte wieder auf gewohntem Niveau laufen werden. Von den 230 Mitarbeitern seines Unternehmens im Verkauf seien derzeit über 85 in Kurzarbeit, die Abteilungen „Entwicklung“ und „Versand“ werde es im Oktober treffen. „Wir werden versuchen, alle Arbeitsplätze zu retten, aber es wird wahrscheinlich nicht gelingen“, sagt Koller. „Wir sind ein Unternehmen mit sozialem Gewissen“ und man werde „mit aller Gewalt“ versuchen, die Arbeitsplätze zu erhalten.

„Die Tracht bleibt hängen“, sagt auch Ingrid Maier von „Tracht und Trend“ in Mühldorf. Manchmal verkaufe sie einen Rock oder ein T-Shirt – das war’s. Was trotz der Krise gut laufe, seien Änderungen und Maßanfertigungen zum Beispiel für die Hochzeit am Standesamt. Diese Aufträge könnten den Umsatzrückgang aber nicht wettmachen: „50 Prozent reichen nicht!“

Als die Corona-Krise begann, hat sich Ingrid Maier umorientiert und mit der Herstellung von Gesichtsmasken begonnen – aus Stoffen, die sie ansonsten für Trachtenkleidung verwendet. Diese verkauft sie in ihrem Geschäft, sie habe sie aber auch an Krankenhäuser und Seniorenheime gespendet. „Das Jahr ist gelaufen“, sagt Maier. „Man muss schauen, dass man die schwere Zeit übersteht.“

„Ganz kalt erwischt“ – so charakterisiert Johannes Reiter, Inhaber des Trachtenhauses Jäger in Rosenheim, die Situation. Ein Großteil der Mitarbeiter sei zu Beginn der Pandemie in Kurzarbeit geschickt worden – heute seien bis auf drei Angestellte alle wieder an Bord, Entlassungen habe es nicht gegeben.

Das Geschäft, dem eine Schneiderei angegliedert ist, hat Reiter zufolge innerhalb von 14 Tagen nach Beginn der Corona-Beschränkungen einen Online-Shop für Standard- und Saisonartikel eingerichtet, damit aber den Umsatzrückgang, den der Geschäftsinhaber für das erste Halbjahr auf 50 bis 60 Prozent taxiert, nicht auffangen können.

Der Verkauf von Trachtenmode sei ein saisonales Geschäft – der Einkauf hatte bereits stattgefunden, die Absatzmöglichkeiten seien gering gewesen. Nicht nur, dass kirchliche Veranstaltungen, Wald- und Volksfeste abgesagt wurden, auch das Versammlungsverbot für Vereine habe sich negativ ausgewirkt. Das Modehaus Jäger zählt nach Reiters Worten 150 bis 200 Vereine zu seinen Kunden. „Wir arbeiten mit voller Kraft und vollem Elan weiter und bemühen uns, für unsere Kunden ein guter Partner zu sein“, sagt Johannes Reiter, der in der Corona-Pandemie ein Ereignis mit langfristigen Folgen sieht.

Kritik an Söders
Corona-Kurs

Paul Unterseher, Inhaber des gleichnamigen Trachtengeschäfts in Rosenheim, spricht von einer „grundsätzlich außergewöhnlichen Situation“ mit großer Verunsicherung der Kunden, „geschürt von der Politik“. Der restriktive Kurs von Ministerpräsident Markus Söder sei nicht förderlich für die Wirtschaft. Sein Haus sei „auf die Hälfte geschrumpft“. Er hält Lockerungen in den Corona-Beschränkungen für wichtig, sodass große Hochzeiten, Firmungen und Kommunionen wieder stattfinden dürfen. „Dann könnten wir zuversichtlich in die Zukunft blicken“, sagt Unterseher und bekräftigt: „Wir brauchen Veranstaltungen.“

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