Hohenbrunn – Vier junge Männer haben bei Malermeister Ivo Fuhrmann in diesem Jahr einen Ausbildungsvertrag unterzeichnet. Keine schlechte Bilanz, möchte man meinen. Schließlich finden andere Betriebe in der Region überhaupt keinen Auszubildenden. Fuhrmann hätte dennoch gerne mehr Lehrlinge eingestellt. „Auf drei Gesellen kommt bei mir ein Lehrling, besser wäre ein Lehrling auf zwei Gesellen“, sagt Fuhrmann. In vierter Generation betreibt er einen Malereibetrieb mit Sitz in Hohenbrunn bei München, 45 Angestellte, sieben Azubis. „Es wird immer schwieriger, Nachwuchs zu finden“, sagt Fuhrmann. Gründe dafür gäbe es viele. „In der Region hat das Handwerk viel Konkurrenz durch die Industrie. Manche wollen sich die Finger nicht schmutzig machen. Oder die Vorstellungen passen einfach nicht zusammen.“
Fuhrmann steht nicht allein mit seinen Sorgen. Zum Beginn des Ausbildungsjahres waren im Freistaat noch mehr als 14 000 Lehrstellen unbesetzt – so viele wie nie zuvor (2016: 12 000). Ihnen standen rund 1200 unversorgte Bewerber gegenüber; auch hier ein Plus. 2016 waren es rund 1100. Die Zahl der Bewerber ging insgesamt um gut 700 auf 81 000 zurück. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen stieg gleichzeitig auf knapp 105 000 (plus ein Prozent). Besonders groß sind die Nachwuchssorgen nach wie vor im kaufmännischen Bereich, in der Nahrungsmittelindustrie und im Hotel- und Gaststättengewerbe. So die Bilanz der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Bayern, die auch zeigt: Immer mehr junge Leute mit Fluchthintergrund machen in Bayern eine Ausbildung. 1635 haben in diesem Jahr laut BA bisher eine Lehre begonnen.
„Manche unserer Betriebe können Aufträge nicht mehr annehmen, weil sie keine Kapazitäten mehr haben“, berichtet Lothar Semper, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Jede unbesetzte Ausbildungsstelle sei eine fehlende Fachkraft von morgen, klagt Hubert Schöffmann, bildungspolitischer Sprecher des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages (BIHK).
„Der bayerische Ausbildungsmarkt ist seit Jahren ein Bewerbermarkt. So gab es auch 2017 mehr Angebote als junge Ausbildungsplatzbewerber. Je Bewerber standen 1,29 gemeldete Ausbildungsstellen zur Verfügung“, erklärt Ralf Holtzwart, Chef der Regionaldirektion Bayern der BA bei der Vorstellung der Ausbildungsbilanz. Dabei gibt es zum Teil große regionale Unterschiede: In der Oberpfalz kamen (zum 30. September) auf einen unversorgten Jugendlichen mehr als 52 freie Lehrstellen. In Oberbayern können Bewerber unter 8,2 ausgeschriebenen Ausbildungsplätzen wählen.
Holtzwart appellierte daher an die jungen Menschen, sich auch mit Alternativen zu ihrem Traumberuf auseinanderzusetzen. Obwohl es knapp 330 Ausbildungsberufe gebe, konzentrierten sich die jungen Leute auf eine Handvoll Wunsch-Berufe. „Bei den jungen Frauen steht auch dieses Jahr die Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement an erster Stelle, bei jungen Männern ist es weiterhin der Kfz-Mechatroniker.“ Die Betriebe müssten gleichzeitig auch schwächeren Bewerbern eine Chance geben oder den Ausbildungsplatz einem verfügbaren Bewerber anpassen, so Holtzwart. Unternehmen könnten etwa das Modell der „assistierten Ausbildung“ nutzen. Geschulte Fachkräfte unterstützen dabei die Azubis zum Beispiel in der Berufsschule.
Auch in Ivo Fuhrmanns Malereibetrieb wird assistiert ausgebildet – und zwar mit Erfolg. Madaou Traore (einer von vier Azubis mit Fluchthintergrund bei Fuhrmann) kommt aus Mali, ist im zweiten Lehrjahr und bekommt Unterstützung beim Deutschlernen. „Ein anderer meiner Lehrlinge hatte sehr schlechte Noten in der Schule, ich hab ihn trotzdem eingestellt – und mich darum gekümmert, dass er Unterstützung bekommt“, erzählte Fuhrmann. „Im nächten Jahr macht er seinen Abschluss.“