München – Geht es bei Siemens um Innovation, ist das heute beinah gleichbedeutend mit Digitalisierung. „Wir sind heute das innovativste Siemens, das es je gab“, betonte Siemens-Chef Joe Kaeser am Freitag vor Analysten in München. Und die Digitalisierung – speziell der Industrie – steht ganz oben auf der Agenda. Bisher galt Siemens als klassischer Vertreter der alten Industrie. Künftig sollen Software und digitale Dienstleistungen zum Kerngeschäft der Münchner werden. Hier wird bereits heute viel Geld verdient – und kräftig investiert. Anders als in anderen Bereichen zeigt der Pfeil steil nach oben: 5,2 Milliarden Euro hat Siemens im vergangenen Geschäftsjahr mit digitalen Technologien umgesetzt, ein Plus um 20 Prozent.
Technikvorstand Roland Busch betonte, dass im Digitalgeschäft 20 Prozent des Umsatzes in die Forschung fließen – mehr als das Dreifache des Durchschnitts im Siemens-Gesamtkonzern.
Im Mittelpunkt stehen dabei Daten und deren Analyse. Bei Kunden aus der Industrie wird beispielsweise der gesamte Prozess – vom ersten Entwurf über das Endprodukt bis hin zur Wartung – am Computer simuliert. Der sogenannte digitale Zwilling wird dann von der virtuellen in die reale Welt übertragen. Das spart Kosten, weil zum Beispiel der Prototypenbau überflüssig wird. In der Produktion hilft das Datensammeln später, Prozesse zu optimieren und Störungen vorauszusehen.
Bei alledem hilft das für vernetzte Industriemaschinen entwickelte Siemens-Betriebssystem MindSphere, das vor einem Jahr ausgerollt wurde. Rund eine Million Geräte und Systeme sind laut Siemens mittlerweile angeschlossen. Neben Siemens-Fabriken läuft das System zum Beispiel beim Maschinenbauer Bausch und Ströbel, beim Automobilzulieferer Heller oder in der Fertigung von Adidas. Man stehe aber erst am Anfang, heißt es bei Siemens. Das Potenzial sei enorm.
Eine Kooperation mit Amazon, die Siemens am Freitag bekannt gab, soll das Geschäft weiter vorantreiben. Dabei geht es um das Cloud-Geschäft des US-Konzerns, bei dem Amazon auf seinen Servern die Datenverarbeitung für Firmenkunden übernimmt. Ab Januar ist MindSphere auf Amazon Web Services verfügbar. Dazu kommen 20 MindSphere-Zentren, die Siemens in 17 Ländern eröffnet hat, um dort gemeinsam mit Kunden Anwendungen zu entwickeln.
Um die Geschwindigkeit beim Thema Innovation zu steigern, wird das Forschungs- und Entwicklungsbudget bei Siemens nochmals erhöht – von 5,2 im vergangenen auf 5,6 Milliarden Euro in diesem Geschäftsjahr. Im Fokus stehen zentrale Technologiefelder, die alle mit der Digitalisierung zu tun haben – unter anderem autonome Robotik, Datenanalyse und künstliche Intelligenz.
Weltweit arbeiten 40 000 Siemensianer im Bereich Forschung und Entwicklung, rund 13 700 davon in Deutschland – Tendenz steigend. Dazu kommt: Mehr als 3 Milliarden Euro der Forschungsausgaben flossen im vergangenen Geschäftsjahr nach Deutschland und damit mehr als 60 Prozent, betonte Kaeser – auch mit Blick auf die Kritik, in der Siemens derzeit steht.
Grund ist, dass der Konzern 6900 Stellen in den Traditionssparten Kraftwerke und Antriebe abbauen will. Auf den Stellenabbau ging Kaeser am Freitag nur kurz ein: Das habe nichts mit der Digitalisierung zu tun, sondern sei „einfach eine Transformation“ vom fossilen Zeitalter zu erneuerbarer Energie.
manuela dollinger