Frankfurt – Oliver Roth kann sich gut erinnern. „Die Hunderter-Marken sind nur so gepurzelt“, denkt der Chef-Händler des Bankenhauses Oddo-Seydler an den 21. Januar 2008 zurück. Es war ein Montag nach einem ruhigen Winter-Wochenende. Von Ruhe an der Börse konnte allerdings schon seit Jahresanfang keine Rede sein. Die Aktienkurse kannten nur eine Richtung: nach unten. „Vielen Leuten war die kritische Lage gar nicht bewusst“, sagt Roth heute. Er ist einer der erfahrensten Händler auf dem Frankfurter Börsenparkett. Die Anfälligkeit der Konjunktur, vor allem aber die schwierige Situation der Banken, waren offenbar noch nicht durchgedrungen, obwohl die Subprime-Krise aus den USA schon im Sommer 2007 mit dem Zusammenbruch der Mittelstandsbank IKB in Deutschland angekommen war. Aber waren die Börse und der Deutsche Aktienindex Dax mit den 30 wichtigsten deutschen Papieren 2007 nicht gut gelaufen? Mit einem Plus von mehr als 22 Prozent war es sogar ein ausgesprochen gutes Börsenjahr. Spätestens an jenem 21. Januar 2008 war es mit der guten Stimmung vorbei. Die Börse in Frankfurt wie auch die anderen Plätze in Europa erlebten einen ihrer schwärzesten Tage. Innerhalb von vier Stunden rutschte der Dax um 7,16 Prozent oder 524 Punkte ab. 6790,19 Zähler stand zum Handelsschluss auf der großen Tafel im Börsensaal – mit dicken Minuszeichen hinter fast jedem Wert. „Hier herrscht nackte Panik, es ist unfassbar“, stammelten Händler, die gar nicht mehr auf ihre Monitore schauen wollten. Es war der größte Tagesverlust seit dem 11. September 2001, dem Tag der Anschläge auf das World Trade Center in New York.
Die Angst vor einer weltweiten Rezession hatte das Drama ausgelöst, aber auch die Furcht vor dramatischen Verlusten der Banken durch die Kreditkrise. In den USA war die weltgrößte Börse an der Wall Street an diesem Tag wegen Feiertag geschlossen. Von dort gab es keine Orientierung, was die Unsicherheit verstärkte.
Der Crash war Auftakt zu einem Katastrophenjahr
Am größten waren die Verluste beim Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate mit 18,5 Prozent. Seit Jahresbeginn hatte sich der Kurs des heute längst verschwundenen Unternehmens, das einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen hat, damit halbiert. Um zehn Prozent ging es auch bei der Commerzbank und der Deutschen Börse nach unten, die Deutsche Bank büßte 7,3 Prozent ein. Nur Volkswagen kam mit einem Minus von einem Prozent glimpflich davon.
Der Crash am 21. Januar war der Auftakt zu einem katastrophalen Börsenjahr, das befördert durch die Pleite der US-Investmentbank Lehman im September und die dramatische Entwicklung der weltweiten Finanzbranche in den Wochen und Monaten danach mit einem Verlust im Dax von 40,37 Prozent endete. Es war das drittgrößte Minus seit 1945. Stand das Börsenbarometer am Jahresanfang noch bei 8067, so waren es Ende Dezember nur noch 4810 Punkte. Zwischenzeitlich waren es sogar nur 3666 Zähler. Dabei erlebten die Anleger 2008 am 13. Oktober allerdings bei einem Plus von 11,4 Prozent auch den höchsten Tagesgewinn in der Geschichte des Dax. An zwei weiteren Tagen ging es mit 11,3 und 10,3 Prozent fast ebenso stark nach oben – was die generelle Talfahrt aber nicht verhindern konnte.
Wer vor zehn Jahren nicht in Panik verfiel und es sich leisten konnte, im Dax zu bleiben, steht heute komfortabel da. Der Index ist um rund 180 Prozent auf rund 13 400 Punkte geklettert. Größter Gewinner seit jenem 21. Januar 2008 ist Adidas mit einem Plus von 300 Prozent, dahinter rangieren Henkel (250), Continental (230) und SAP (200). Am Ende steht Eon. Der Kurs ist um 90 Prozent abgesackt, bei der Deutschen Bank und bei RWE jeweils um 80 Prozent.
Bei der Commerzbank erscheint das Minus mit bloßem Blick auf den Kurs mit 30 Prozent noch überschaubar. Allerdings sind hier wie auch bei der Deutschen Bank diverse Kapitalerhöhungen und damit die Ausgabe von Millionen von neuen Aktien nicht berücksichtigt. Vergleichbar ist damit das Minus jeweils deutlich größer und liegt im dreistelligen Prozentbereich.
Finanzaufsicht auf nächste Krise besser vorbereitet
Heute gelten die Aussichten für die Börse angesichts der weltweit rund laufenden Konjunktur und der anhaltend niedrigen Zinsen als gut. Experten sehen den Dax weiter im Aufwind. Und das Umfeld wird wegen der umfangreichen weltweiten Regulierung durch Finanzaufseher und Notenbanken sowie deutlich gestiegener Kapitalanforderung für Banken als sicherer einstuft. Aufseher sind heute viel besser aufgestellt und schauen sehr viel genauer hin, sie betonen aber, dass es absolute Sicherheit an den Finanzmärkten nicht geben kann. Woher möglicherweise eine neue Krise kommt, wissen auch sie nicht. Aber sie sind erheblich besser vorbereitet.