Davos – Was soziale Ungleichheit bedeutet, will die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam mit diesem Vergleich verdeutlichen. In vier Tagen verdiene der Vorstandsvorsitzende eines globalen Modekonzerns so viel Geld wie eine Näherin in Bangladesch in ihrem ganzen Leben, sagt Oxfam-Mitarbeiterin Ellen Ehmke in Berlin. Die Aussage ist Teil des neuen Berichts zur Polarisierung der weltweiten Einkommen und Vermögen, den die Organisation jährlich vor dem Weltwirtschaftsforum von Davos veröffentlicht.
Der globalen Elite, dem reichsten einen Prozent der Weltbevölkerung, gehöre über die Hälfte allen Vermögens auf Erden, erklärt Oxfam. Und dieser Anteil nehme zu. Sowohl die Ungleichheit der Einkommen als auch der Vermögen wachse. Ein Beleg dafür: Mittlerweile hätten 42 Milliardäre so viel Kapital angehäuft wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. 2009 seien das noch 380 Milliardäre gewesen. Das Vermögen konzentriere sich also in immer weniger Händen, so Jörn Kalinski, Kampagnenleiter von Oxfam Deutschland. Die Zahlen basieren unter anderem auf Untersuchungen der Schweizer Bank Credit Suisse, des Magazins Forbes, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.
Im vergangenen Jahr musste Oxfam sich sagen lassen, einige Angaben stimmten nicht, und man überzeichne die Entwicklung. Die Organisation verteidigt sich mit dem Hinweis, dass sie stets die neuesten verfügbaren Statistiken verwende. Diese würden sich im Zeitverlauf aber auch ändern.
Mit Blick auf Zahlen der Weltbank lobte Oxfam Fortschritte bei der Bekämpfung der extremen Armut. Demnach hat sich die Zahl der Menschen, die weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, zwischen 1990 und 2010 halbiert und sei seitdem weiter gesunken. Allerdings habe die zunehmende Einkommensungleichheit verhindert, dass deutlich mehr Menschen aus extremer Armut entkommen konnten. Noch immer müssten rund 700 Millionen von etwa 7,5 Milliarden Menschen mit weniger als zwei US-Dollar pro Tag zurechtkommen. Die wachsende Ungleichheit erschwere den Kampf gegen die Armut. Im Übrigen zersetze sie die Demokratie, weil sich die Benachteiligten von den Institutionen alleine gelassen fühlten und teilweise extreme Parteien wählten, wie beispielsweise in Europa und den USA.
Auch Deutschland sei trotz brummender Konjunktur ein „Ungleichland“. Hierzulande verfügten die reichsten 40 Personen über das gleiche Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung, sagte Ehmke. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer müsse 157 Jahre arbeiten, um das Jahreseinkommen eines Dax-Vorstandsvorsitzenden zu erzielen.
Die Studie erscheint kurz vor Beginn des WEF, weil Oxfam Einfluss auf die Veranstaltung nehmen will. In den vergangenen Jahren kooperierte man mit dem Forum. So amtierte Oxfam-Geschäftsführerin Winnie Byanyima 2016 als Co-Vorsitzende des Kongresses in Davos. Hat das etwas gebracht? „Ja“, sagt Kalinski, bei den Managern und Konzernlenkern „nimmt das Bewusstsein für das Problem der Ungleichheit und dessen Dringlichkeit zu“.
Das gelte teilweise auch für die Politik. Lobend erwähnt wurde die internationale BEPS-Initiative, in der Dutzende Staaten, unter anderem Deutschland, kooperieren, um die Steuerflucht durch transnational tätige Konzerne zu verringern. Bisher allerdings mit zu geringem Erfolg: Oxfam zufolge gehen den Regierungen pro Jahr etwa 200 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren, weil alleine das reichste Prozent der Menschheit sein Kapital gerne in Steueroasen verstecke.
Die Organisation verlangt, diese und andere Ursachen der Ungleichheit politisch anzugehen. Sie schlägt beispielsweise vor, „weltweite Mindeststeuersätze“ für Unternehmen einzuführen. Ein schwieriges Unterfangen. Gerade erst hat die US-Regierung ihre Steuer auf Firmengewinne stark gesenkt. US-Konzerne wie Apple wollen nun hunderte Milliarden Euro angesparte Gewinne aus dem Ausland in die USA überweisen. Auch Europa dürften große Summen verlorengehen. Die Staaten machen sich gegenseitig Konkurrenz, um ein Stück des internationalen Steuer-Kuchens abzubekommen. Konzerne und kapitalkräftige Privatpersonen freut das – sie zahlen weniger Abgaben, wodurch die Polarisierung zwischen Reich und Arm zunimmt.
Zu der WEF-Jahrestagung in den Schweizer Alpen werden vom 23. bis 26. Januar mehr als 3000 Teilnehmer erwartet, darunter etwa 70 Staats- und Regierungschefs wie US-Präsident Donald Trump, der französische Staatschef Emmanuel Macron sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch Hunderte Vorstandsvorsitzende globaler Konzerne kommen nach Davos.