Tourismus

„Wenn Bayern aktiv wird, ist es unschlagbar“

von Redaktion

Bayerns Tourismusbranche kämpft um mehr Anerkennung und ein stärkeres Selbstbewusstsein. Immerhin arbeitet im Freistaat jeder 20. Erwerbstätige im Tourismus, 400 000 Beschäftigte sind es insgesamt. Doch noch immer fehlt eine überregionale Koordinationsstelle, die der Branche neuen Auftrieb geben könnte. Angela Inselkammer, Präsidentin des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, ist zuversichtlich, dass die Weichen für ein solches Kompetenzzentrum gestellt sind. Dann könnten auch Maßnahmen gegen das Wirtshaussterben, unter dem viele ländliche Gebiete in Bayern leiden, besser koordiniert werden.

-Immer mehr kleine Wirtschaften müssen schließen. Woran liegt das?

Das hat mehrere Gründe. Zum Beispiel die schier unendlichen Vorschriften. Wir haben eine Erhebung darüber gemacht, wie viele Stunden sich ein Wirt heute mit Dokumentationen befassen muss. Es sind 13 Stunden in der Woche! Mehr als ein ganzer Arbeitstag nur für die Bürokratie.

-Was für Dokumentationen sind das?

Alles mögliche: Von Buchhaltung über Allergenkennzeichnung, Aufzeichnungen zur Lebensmittelhygiene, zur Arbeitszeit. Dinge, die ursprünglich gemacht wurden, um die großen Lebensmittelerzeuger zu kontrollieren. Das müssen die kleinen Wirtshäuser alles auch machen. Und die trifft es am allermeisten, weil die großen haben das weitgehend automatisiert. Warum kann man das den kleinen Wirten nicht erleichtern?

-Wobei könnte man die kleinen Wirte denn entlasten?

Zum Beispiel bei der Allergenkennzeichnung. Wenn ich weiß, dass ich gegen etwas allergisch bin, dann spreche ich doch mit dem Küchenchef, gerade in einem kleinen Lokal. Das hat ja früher auch funktioniert. Außerdem: Wenn Vereine Veranstaltungen machen, gelten all die Vorschriften ja auch nicht.

-Wie stark belastet die Branche das Rauchverbot noch?

Das trägt schon zum Wirtshaussterben bei. Ein Wirtshaus ist ja ein Treffpunkt, da will man zusammensitzen, am Stammtisch zum Beispiel. Und da gehört bei vielen das Rauchen dazu. Die stehen halt jetzt vor der Tür – oder bleiben Zuhause.

-In Österreich soll das eigentlich geplante Rauchverbot nun doch wieder gelockert werden. Würden Sie sich das auch wünschen?

Ich kann mir höchstens vorstellen, dass es zulässig wäre, einen Raucherraum einzuführen. Das könnte man wirklich den Gästen überlassen, ob sie in einem Raucherraum oder im rauchfreien Gastraum sitzen möchten. So wie früher wird es ja ohnehin nie wieder werden, ganz einfach, weil die meisten Gäste sich freuen, dass sie in rauchfreier Umgebung essen können.

-Bayern ist da ja auch im Bundesländervergleich besonders strikt.

Ja. Wir dürfen nur bei geschlossenen Gesellschaften wie Geburtstagen oder Hochzeiten die Gäste entscheiden lassen, ob geraucht wird oder nicht. Da machen wir die Erfahrung, dass viele nach dem Essen das Rauchen zulassen, weil sonst immer die Hälfte der Gesellschaft draußen steht.

-Sie fordern vom Freistaat auch ein sogenanntes Kompetenzzentrum für Tourismus. Was kann man sich darunter vorstellen?

Es gibt in Bayern viele Akteure im Tourismus. Es fehlt eine Stelle, die Wissen bündelt und Impulse setzt, aber nicht in das operative Geschäft eingreift. Das wäre dringend notwendig. Das soll keine neue Behörde sein. Das könnte auch innerhalb des Wirtschaftsministeriums angesiedelt sein. Momentan haben wir für den Tourismus, immerhin der zweitwichtigste Wirtschaftsfaktor in Bayern nach der Industrie, genau ein Referat. Das reicht nicht.

-Sind die Österreicher, die ja Ihre große Konkurrenz sind, da weiter?

Ja. Da ist der Tourismus ganz anders organisiert. Das läuft über die Wirtschaftskammer, da sitzen auch Unternehmer. Da wird entschieden, wo gezielt Geld ausgegeben wird, um Dinge nach vorne zu bringen. Es fällt dann zum Beispiel auf, dass plötzlich in allen Magazinen, vom Reisen über Essen, die Steiermark vorkommt. Dann wissen Sie, aha, jetzt bündeln sie alles, um für die Steiermark zu werben. Das nächste Mal ist es dann Tirol. Achten Sie mal darauf, das ist genau gesteuert.

-Sehen Sie die Gefahr, dass uns die Österreicher im Tourismus enteilen?

Lustigerweise haben die Österreicher auch Angst vor uns. Weil sie sagen, wenn Bayern aktiv wird und mal wirklich seine Kräfte bündeln würde, dann wäre es unschlagbar.

-Stimmt das?

Ja. Wir haben in Bayern ja alles, Seen, Berge, Städte, tolle Kultur. Bei Österreich muss man auch sehen: Da gibt es keine vergleichbare Industrie wie bei uns beispielsweise die Automobilindustrie, von daher hat der Tourismus einen viel höheren Stellenwert. Und deshalb konzentrieren sie sich darauf, neuerdings haben sie sogar ein reines Tourismusministerium.

-Was konkret soll in Bayern geschehen?

Der Tourismus in Bayern braucht eine zentrale Stelle, an der alles zusammenläuft. Ein Beispiel: Der Landkreis Freising hat eine neue Radlkarte. Das ist ja schön – aber eigentlich ein Schmarrn. Denn wir brauchen eine Radlkarte nicht nur für Freising, sondern für ganz Bayern. Mit der gleichen Optik, mit den gleichen Markierungen. Damit sich der Gast, der ja nicht auf einen Landkreis beschränkt ist, auch auskennt. Darum muss sich eben jemand kümmern.

-Haben Sie Signale, dass sich da etwas bewegen könnte?

Ja. Es gibt ein erstes Projekt mit dem Wirtschaftsministerium. Eine Art Blitzlichtberatung für Wirtshäuser, die Probleme haben. Da kommt ein Experte und schaut sich den Betrieb mit seinen Gegebenheiten vor Ort an. Das soll eine Schwachstellen-, aber auch eine Potenzialanalyse sein. Der Wirt, der ja oft vor lauter Arbeit gar nicht dazu kommt, über den Tellerrand zu schauen, soll neue Perspektiven bekommen.

-Welche neue Perspektiven können das sein?

Es gibt noch etwas anderes für eine Wirtschaft auf dem Land, als am Montag früh aufzusperren und am Sonntagabend zuzusperren. Für manchen Betrieb kann es wirtschaftlich lukrativer sein, nur Donnerstag bis Sonntag zu öffnen. Oder der Wirt schaut, dass er die Verpflegung für den Kindergarten machen kann. Es gibt viele Ideen und Möglichkeiten. Man muss es probieren, bevor wieder ein Gasthaus auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

-Wie viele sind denn schon verschwunden in den letzten Jahren?

Es gibt schon heute 500 Gemeinden in Bayern, die kein Wirtshaus mehr haben. Wir haben in Bayern 29 000 Speiselokale, seit der Jahrtausendwende sind 3000 verschwunden. Das ist wirklich traurig, denn es ist doch das Wichtigste für einen Ort, dass er ein Zentrum hat, wo sich die Menschen treffen können. Auch fehlt damit die Grundlage für den Tourismus. Das muss die Politik erkennen und uns helfen.

-Wäre das nicht wichtiger, als wenn der Freistaat Geld in Luxushotels steckt, was aktuell ja geschieht?

Wir brauchen beides. Wir brauchen Leuchtturmprojekte. Ein tolles Hotel mit Ausstrahlung hilft der ganzen Region, auch den kleinen Wirtshäusern. Zusätzlich brauchen die Kleinen aber noch Förderung. Diesbezüglich fordern wir ein Investitionsprogramm für Betriebe des Gaststättengewerbes unter zwei Millionen Euro Jahresumsatz und mit weniger als 20 Mitarbeitern.

-Um wie viel Geld geht es da?

Das Förderprogramm sollte idealerweise mit 60 Millionen Euro für vier Jahre ausgestattet werden. Ein Direktzuschuss von 25 Prozent auf die Investitionssumme könnte vielen kleinen Betrieben helfen, um überhaupt einen Kredit zu bekommen. Auch ein großes Problem für viele Betriebe, wenn man weiß, dass eine Schankwirtschaft in Bayern einen durchschnittlichen Gewinn pro Stunde Öffnungszeit von 4,63 Euro hat. 36 Prozent der Betriebe haben weniger als 100 000 Euro Umsatz im Jahr.

-Das sind ja prekäre Verhältnisse.

Die Leute sehen nur, wenn ein Lokal voll ist. Dann heißt es: Schau, was der wieder Geld verdient. Wenn der Wirt unter der Woche allein in seinem Laden sitzt und das am Wochenende verdiente Geld wieder verliert, sieht ihn niemand.

-Was könnte die Lage verbessern?

Mehr als jedes Förderprogramm würde es helfen, wenn endlich die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze für Essen zum Mitnehmen und solches, das man vor Ort verzehrt, abgeschafft würden. Kaum ein Wirtshaus auf dem Land kann heute noch einen Mittagstisch anbieten, weil alle Metzgereien mittags Essen anbieten, mit 7 Prozent Mehrwertsteuer. Wer in unsere Lokale kommt und dort gemütlich sitzt, zahlt 19 Prozent. Wir brauchen endlich 7 Prozent auf alle Lebensmittel, egal ob man sie im Stehen, Sitzen oder Liegen verzehrt.

-Ein großes Thema für Übernachtungsbetriebe ist AirBnb. Die fangen ja jetzt an, die über die Plattform vermittelten Wohnungen zu klassifizieren. Damit wildern sie noch mehr im Revier der Hotels, oder?

Ich habe grundsätzlich nichts gegen solche Vermittlungsportale. Nur: Die Voraussetzungen für Hotels und AirBnb müssen die gleichen sein, wenn sie das gleiche anbieten. Also, gleiche Auflagen. Brandschutz, Steuern, Hygienevorschriften, Gewerbeaufsicht, Fluchtwege… Wenn das alles für AirBnb genauso gilt wie für uns, dann habe ich kein Problem damit. Nur ist das ja leider nicht so. Dazu kommt: In München gibt es allein 9000 Wohnungen, die ausschließlich für AirBnb genutzt werden – und damit dem eh schon angespannten Wohnungsmarkt fehlen.

-Anderes Digitalisierungsmodell: Booking.com. Ein Buchungsportal, das sich zum Quasimonopolisten entwickelt hat. Leiden die Hotels darunter oder finden sie es gut, weil man nun im Internet jede Pension finden kann?

Ich finde das erst einmal positiv. Wie sollte ein Auswärtiger einen Betrieb wie den unseren in Aying im Internet denn sonst finden? Es liegt ja auch am Hotelier selber, die Preise so zu steuern, dass man nicht unbedingt über die Portale am günstigsten bucht.

-Wie viel muss der Hotelier denn pro Übernachtung an das Portal bezahlen?

Zwischen 15 und 20 Prozent.

-Also kann man sparen, wenn man direkt auf die Homepage des Hotels geht, statt über das Portal zu buchen?

Ja. Die Bestpreis-Klausel ist ja gerichtlich gekippt worden. Deshalb würde ich jedem empfehlen, immer auf die Website des Hotels selbst zu gehen und zu schauen, was es da kostet. In den meisten Fällen wird man da die besseren Preise finden. Und wenn nicht, lohnt es sich, mit dem Hotelier zu verhandeln. Er spart ja die Provision für das Portal, hat normalerweise also einen Spielraum.

-Begreifen Wirte und Hoteliers die digitalen Angebote schon als Chance?

Wir bemühen uns sehr darum. Gerade kleinen Betrieben bieten sich hier ja jede Menge Möglichkeiten, man muss sich nur damit befassen, die Neuerungen anschauen und überlegen: Was kann ich daraus für mein Lokal machen? Wichtiger noch als technische Neuerungen ist aber etwas anderes. Jedem Wirt und Hotelier muss klar sein: Wir sind Gastgeber. Wir sind diejenigen, die die Leute glücklich machen wollen. Es geht doch jedem das Herz auf, wenn er in ein schönes Wirtshaus geht. Jemand der das nicht versteht und nicht dafür antritt, Menschen zu umsorgen, der hat als Wirt nichts verloren.

Interview: Corinna Maier, Georg Anastasiadis, Dominik Göttler und Sebastian Hölzle

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