München – Die Fassungslosigkeit ist greifbar. „Aber das ist doch mein Container“, beharrt ein Anleger der insolventen Investmentfirma P&R. Wie einige Dutzend Leidensgenossen ist er in einen Münchner Veranstaltungssaal gekommen, um sich von Daniela Bergdolt und ihrem Anwaltsteam erklären zu lassen, was noch zu retten ist. Die Juristin ist als Vizechefin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Anlegerfragen erfahren.
Größte Anlegerpleite aller Zeiten
Schlechte Nachrichten kann aber auch sie nicht besser machen. Denn erstens sei die Chance groß, dass es besagten Container gar nicht gibt. Von 1,6 Millionen Transportboxen, die P&R 54 000 Anlegern bundesweit verkauft hat, fehlt schlichtweg eine Million, weshalb nun von einer Kriminalinsolvenz die Rede ist. Und vorhandene Container seien schlicht nicht mehr einzelnen Anlegern zuordenbar. „Sie sind belogen und betrogen worden“, stellt Bergdolt klar. Staatsanwälte ermitteln in der wohl größten Anlegerpleite aller Zeiten.
Dem entrüsteten Anleger fällt es sichtlich schwer zu akzeptieren, dass sich „sein Container“ als vermeintliches Faustpfand bei einer Firmenpleite in Luft aufgelöst hat. Das ist nicht das Einzige, das ihn mit anderen im Saal verbindet. Das Durchschnittsalter der versammelten Anleger dürfte bei 60 Jahren liegen.
Die Geschädigten sind keine Zocker
Über die Hälfte der Anlegerschaft bei P&R ist älter als 60 Jahre, mehr als ein Drittel sogar über 70-jährig. Vier Jahrzehnte lang ist beim Verkauf von Schiffscontainern an Privatpersonen alles gut gegangen. Vereinbarte Mietzinsen sind verlässlich an sie zurückgeflossen. „Das war für viele eine sichere Anlage, Container zum Anfassen und keine spekulativen Bitcoins“, räumt Bergdolt ein. Deshalb seien die Geschädigten jetzt auch keine jungen Zocker, sondern überwiegend betagte Menschen und ganze Familien. Bis ein Insolvenzverfahren nach Jahren beendet ist und Anleger am Ende aus der Insolvenzmasse bedient werden, kann es angesichts ihres Alters für viele von ihnen zu spät sein. Sie sagt das auch offen in den Saal hinein und erntet Zustimmung.
Um zu retten, was von den 3,5 Milliarden Euro Anlegergeldern noch zu retten ist, gibt es zwei Hebel. Der eine ist der vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Er hat soeben bekannt gegeben, dass das Insolvenzverfahren für vier P&R-Pleitefirmen wohl diesen Juli eröffnet wird. Dann könnten Anleger ihre Forderungen anmelden. Zur möglichen Quote, also dem Anteil ihres vielleicht noch zu rettenden finanziellen Einsatzes, sagt Jaffé noch nichts.
Insolvenzverfahren dauert Jahre
Finanzanalyst Stefan Loipfinger schätzt ihn auf magere 25 Prozent. „Das wage ich zu bezweifeln“, sagt Bergdolt. Es werde wohl noch weniger als ein Viertel werden und minimal vier Jahre dauern, bis Geld aus der Insolvenzmasse an Geschädigte fließt. Beim zweiten Hebel hofft sie dagegen, dass das schon 2020 so weit sein könnte. Das sind Schadenersatzklagen gegen alle, die als Verantwortliche infrage kommen. Neben P&R-Gründer Heinz Roth und dessen Geschäftsführer sind das Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen und Treuhänder. Sie alle will Berdolt gesammelt in ein sogenanntes Kapitalanlegermusterverfahren zwingen. Bei einem Sieg vor Gericht hätte ein solcher Musterprozess den Vorteil, dass alles auf einmal geklärt wird. Außerdem entstehen dabei für Kläger geringere Kosten.
Was wäre aber bei einem Sieg vor Gericht zu holen? Jaffé ist skeptisch. „Angesichts des enormen Schadens im Milliardenbereich wird das Vermögen der etwaig verantwortlichen Personen nicht ausreichen, um sämtliche Ansprüche auch nur ansatzweise zu befriedigen“, sagt er. Das sieht auch Bergdolt so, aber sie spekuliert auf Versicherungen. Für Manager schließen Firmen üblicherweise spezielle Haftpflichtpolicen ab. Bei Wirtschaftsprüfern und Ratingagenturen seien Berufshaftpflichtpolicen Pflicht. Die dürften sich zwar auch nur auf einen maximal dreistelligen Millionenbetrag summieren. „Einen Batzen holen wir aber raus“, meint Bergdolt. Besser als nichts, soll das heißen.
Die im Saal präsente Anlegerschaft wirkt zwiegespalten. Soll man gutes Geld dem schlechten hinterherwerfen, in der Hoffnung, vor Gericht zu gewinnen? Das fragt sich nicht nur eine Anwesende, die durch ihr relativ geringes Alter auffällt. Sie sei für ihren Vater da, der bei P&R investiert hat. Über die genaue Summe schweigt sie, aber für seine Verhältnisse sei es viel Geld gewesen. „Er hat keine Rechtsschutzversicherung“, sagt sie. Die sollte man bei Gerichtsklagen schon haben, raten viele Experten. Besser gehe es ihr nach den neuen Informationen jedenfalls nicht, sagt die Anlegertochter und überlegt, wie sie ihrem Vater das alles beibringen soll.