Automobilindustrie

Die Entgiftung einer früheren Raffinerie

von Redaktion

Von martin Prem

Ingolstadt – Wir schreiben das Jahr 1959. Wirtschaftswunderzeit. Bayern hat den Ehrgeiz, zu den großen Industriestandorten aufzuschließen. Dazu braucht das Land, dessen Kohlegruben am Ende sind, viel Energie. Kohle aus dem Ruhrgebiet oder Öl aus der ganzen Welt.

Bayern will Öl, das an der Donau möglichst mitten im Freistaat verarbeitet werden soll. Ingolstadt wird mit drei Raffinerien und zwei weiteren in der Nähe bayerisches Erdölzentrum. Kaum einer dachte daran, dass dies einmal vorbei sein könnte. Und dass dann unter Brachflächen Zeitbomben für Natur und Umwelt schlummern: Rückstände der Erdölproduktion und andere Chemikalien.

Gut ein halbes Jahrhundert später: Bayern ist der Wirtschaftsmotor Deutschlands. Und in Bayern die Region Ingolstadt. Das hat nichts mit Öl zu tun. Zwei Raffinerien sind stillgelegt. Aber in Ingolstadt steht die zweitgrößte deutsche Autofabrik und die Zentrale von Audi. Die Standorte platzen aus allen Nähten. Überall hat Audi Areale angemietet, um die Raumnot zu lindern. Und doch reicht es nicht.

Da entstand 2015 ein historischer Kompromiss: Der heißt IN-Campus. Ein Campus ist ein Zentrum, wo universitäre und industrielle Forschung zusammenlaufen, wo Zukunftstechnologien entstehen. Es geht im Fall Ingolstadt und für Audi natürlich ums Auto. Ein Projekthaus soll dort unter anderem entstehen und ein ein Fahrzeugsicherheitszentrum.

Dafür steht eine Fläche zur Verfügung, die rund 100 Fußballfeldern entspricht. Vorteil: Der Boden ist versiegelt, zum Großteil mit Beton. Da muss kein Wald gerodet werden und kein Biotop geopfert. Nachteil: Das Gelände gehörte der Erdölraffinerie Ingolstadt (Eriag) und später Bayernoil. Und dort schlummern üble Reste, deren Beseitigung und Entsorgung wohl mehr kostet, als woanders der Kauf und die Erschließung eines vergleichbaren Areals. Denn die Sanierung solcher Altlasten ist sehr teuer. Vom „größten vergleichbaren Sanierungsprojekt“, spricht Rüdiger Recknagel, Leiter Umweltschutz im Audi-Konzern.

Nachdem Tanks und Prozessanlagen demontiert und auch die Betonreste entfernt waren, konnte die Bodensanierung beginnen. Vergleichsweise einfach ist das bei „Leichtflüchtigen Kohlenwasserstoffen“ (vereinfacht: Substanzen, die auch in Benzin vorkommen). Sie verdunsten, lösen sich in Luft. So wird Luft mit einem im Boden versenkten Schlauch ins Grundwasser geblasen, die die Schadstoffe aufnimmt und unter der mit Plastikplanen abgedeckten Oberfläche von einer Drainage abgesaugt und gereinigt wird. So lange, bis nur noch saubere Luft aufsteigt.

Deutlich schwieriger wird das mit Mineralölkohlenwasserstoffen (grob vergleichbar mit Diesel oder Marinediesel). Oder auch bei Per- und Polyfluorierten Chemikalien (PFC). Da muss der Boden raus. Um alles belastete Material zu erwischen, orientieren sich die Sanierer an der Natur, den Bienen. Riesige sechseckige Waben aus zentimeterdickem Stahl werden mit einem Vibrationsgerät lückenlos bis zu zehn Meter tief in die Erde versenkt. Kies und Sand daraus ausgehoben und sauberes Material eingebracht. Die Waben kommen wieder heraus und werden an einer anderen Stelle eingesetzt. Damit sie diese belastende Prozedur mehrfach aushalten, sind sie nur an einer der sechs Kanten verschweißt, erklärt Lena Lohr vom Allgäuer Sanierungsunternehmen Geiger und stellvertretende Projektleiterin auch für Strabag und Züblin, die an dem Projekt arbeiten.

Der Aushub wird, wie Stephan Brun von Audi sagt, „in unserer Waschmaschine“ gereinigt. Das ist eine 17 Meter hohe Anlage in der durch Wasser und die Reibung, Kies und Sand von den Schadstoffen befreit werden. Heraus kommt, wie in einem Kieswerk nach unterschiedlichen Korngrößen sortiert, sauberer Kies und Sand, der auf dem Gelände zur Verfüllung dringend gebraucht wird. Weniger als zehn Prozent des Ausgangsmaterials müssen auf eine Deponie.

Schadstoffe, die noch im Boden sind, könnten über das Grundwasser und in die Donauauen gelangen. Das aber muss verhindert werden mit einer hydraulischen Sperre, wie Andrea Robin von Audi sagt. Eine lückenlose Reihe von Brunnen dort, wo der Grundwasserstrom aus dem Geländes abfließt. Das Wasser wird gereinigt und in Trinkwasserqualität über eine Versickerungsanlage, eine Art Weiher, wieder der Natur zugeführt.

Das Gewässer wird – wie insgesamt ein Fünftel des sanierten früheren Raffinerie-Areals – renaturiert und wieder zum typischen Aufwald der Donauauen. So könnte die zum IN-Campus gewandelte Eriag-Raffinierie das erste bayerische Industrieprojekt sein, bei dem der Flächenverbrauch negativ ist.

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