Istanbul – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan lehnt eine Intervention der Zentralbank entschieden ab und setzt weiter auf staatliche Investitionen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dabei hat die Inflation ein Niveau erreicht, das türkische Haushalte ernsthaft zu schmerzen beginnt, während der Verfall der Lira türkische Banken und Firmen zunehmend in Bedrängnis bringt.
Nachdem die türkische Währung lange um die zwei Lira zum Dollar gehandelt wurde, stieg sie nach dem Putschversuch von Juli 2016 über die Dreier-Marke und verlor rasch weiter an Wert. Inmitten eines erbitterten Streits mit den USA über die Inhaftierung des US-Pastors Andrew Brunson brach sie stark ein und stürzte am Freitag nach der Verhängung von Strafzöllen auf türkischen Stahl und Aluminium durch US-Präsident Donald Trump in nie gekannte Tiefen. Trump teilte auf Twitter mit: „Ich habe gerade eine Verdoppelung der Zölle auf Stahl und Aluminium hinsichtlich der Türkei bewilligt.“ Die Beziehungen zur Türkei seien nicht gut.
Am Nachmittag wurde die Lira um die 6,50 zum Dollar und 7,50 zum Euro gehandelt – und ein Ende der Talfahrt ist nicht absehbar. Ein von Finanzminister Berat Albayrak am Freitag vorgestelltes Maßnahmenpaket für die angeschlagene türkische Wirtschaft hatte Investoren nicht überzeugt und die Verunsicherung beschleunigt. Albayrak betonte, die Regierung unterstütze voll eine „unabhängige Geldpolitik“. Sie wolle das Vertrauen in die Lira verbessern und werde die Inflation effektiv bekämpfen. Außerdem werde das Budget gestrafft. Wie genau die Regierung das anstellen will, ging aus der vage gehaltenen Rede aber nicht hervor.
Während Ökonomen und einfache Bürger beunruhigt sind, lehnt Erdogan eine Intervention der Zentralbank ab. Bei einer Kundgebung beruhigte er am Donnerstag seine Anhänger mit dem Hinweis: „Sie mögen ihre Dollar haben, doch wir haben unser Volk, unser Recht und unseren Gott.“ Der Liraverfall verteuert nicht nur Importe und treibt damit die Inflation, sondern lässt auch die Auslandsschulden der Firmen und Banken steigen. Ein Drittel der Bankkredite türkischer Unternehmen sind laut Capital Economics in Devisen. Für viele Konzerne wird es immer schwieriger, ihre Schulden zurückzuzahlen. Sollte die Lira dauerhaft 7,10 zum Dollar erreichen, warnt die Investmentbank Goldman Sachs, wären die Kapitalreserven der Banken aufgebraucht.
Obwohl sich die höheren Kosten für Importgüter wie Treibstoff auch spürbar in den Lebenshaltungskosten niederschlagen, kommt die Währungskrise in den Medien kaum vor. „Die regierungsnahen Medien lenken ab und zeigen Filme und Serien“, ärgert sich ein Mann, während er in Istanbul an den Wechselstuben den Lirakurs verfolgt. „Würden die Leute die Nachrichten verfolgen, würden sie begreifen, wie es um die Wirtschaft steht.“
Ökonomen fordern dringend eine Anhebung der Leitzinsen, um den Liraverfall zu stoppen und die Inflation von fast 16 Prozent zu drücken, doch vertritt Erdogan die unorthodoxe Ansicht, dass eine Senkung der Zinsen hilft, die Inflation zu reduzieren. Für ihn sind Zinsen die „Mutter allen Übels“.
Nachdem es schon länger Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank gab, verstärkte Erdogan nach seiner Wiederwahl im Juni und dem Übergang zum Präsidialsystem die Kontrolle über die Institution. Zudem ernannte er seinen Schwiegersohn Berat Albayrak zum Finanz- und Wirtschaftsminister, während Vizeregierungschef Mehmet Simsek, der als Garant einer orthodoxen Währungspolitik galt, aus dem Kabinett entfernt wurde.
All dies hat die Wirtschaft beunruhigt. Zwar spielt auch die neue Attraktivität des Dollars eine Rolle bei der Talfahrt der Lira sowie die neuen US-Sanktionen gegen den Iran, die auch den Handel mit der Türkei zu treffen drohen. Doch vor allem hätten die Märkte das Vertrauen in Erdogan, Albayrak und die Handlungsfähigkeit der türkischen Zentralbank verloren, sagt Charles Robertson, Chefökonom bei Renaissance Capital.
Erdogan gab sich am Freitag unnachgiebig und rief zum „nationalen Kampf“ gegen den „Wirtschaftskrieg“ auf, mit dem die Türkei konfrontiert sei. Die Ökonomin Nora Neuteboom von ABN Amro hat dennoch die Hoffnung, dass sich am Ende die ökonomische Vernunft durchsetzen werde. „Erdogan ist ein Pragmatiker“, sagt sie. Wenn der Liraverfall und der Anstieg der Inflation die Wirtschaft ernsthaft treffe, werde er nachgeben.