Frankfurt/München – Was ist nur los mit Deutschlands Großbanken? Magere Ergebnisse, vor sich hin dümpelnde Aktienkurse und jetzt womöglich noch der Abstieg der Commerzbank aus der ersten deutschen Börsenliga. Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird der Dax-Dino bei der nächsten regulären Überprüfung des Deutschen Aktienindex am 5. September durch den aufstrebenden Zahlungsabwickler Wirecard ersetzt. Zugleich muss die Deutsche Bank um ihren Platz im Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 bangen.
Deutschlands führende Banken seien nach der jüngsten Finanzkrise zu lange mit sich selbst beschäftigt gewesen, meint Klaus Nieding, Vizepräsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), der die Branche seit Jahren im Blick hat. „Die Aufarbeitung der Krise hat viel Zeit, Kraft und Geld gekostet. Beim Thema Digitalisierung haben die Banken zehn Jahre verschlafen.“
Junge Finanzfirmen stießen in die Lücke. Die 1999 gegründete Wirecard AG versteht sich heute als „eines der weltweit führenden Unternehmen für elektronische Zahlungstransaktionen“. Nach einem starken zweiten Quartal schraubte das Unternehmen aus dem Münchner Vorort Aschheim am Donnerstag erneut seine Ziele nach oben. Schon am Vormittag schnellte der Börsenwert von Wirecard auf knapp 22 Milliarden Euro in die Höhe – aktuell ist das Unternehmen an der Börse damit nicht nur mehr wert als die Commerzbank, sondern überflügelt auch die Deutsche Bank. Agiler Nischenanbieter statt schwerfälliger Tanker mit Komplettangebot – Zeit für den Abgesang auf das klassische Bankgeschäft? Nein, sagt Holger Sachse, Bankenexperte bei der Boston Consulting Group (BCG): „Das ist nicht das Ende von Großbanken. In Europa gibt es sehr viele erfolgreiche Großbanken – übrigens auch im deutschen Markt.“ Zudem müsse sich noch zeigen, ob Fintechs die hohen Wachstumserwartungen auch erfüllen könnten. „Der Beweis, dass sich Kundenbeziehungen tatsächlich profitabilisieren lassen, der steht bei ganz vielen Fintechs noch aus“, konstatiert Sachse.
„Ein Imageschaden wäre ein Abstieg der Commerzbank aus dem Dax durchaus“, sagt der Kölner Bankenprofessor Thomas Hartmann-Wendels. Allerdings habe sich seit Jahren abgezeichnet, dass schlank aufgestellte neue Anbieter den Banken beim Zahlungsverkehr den Rang ablaufen. „Banken hätten längst gewarnt sein müssen, dass ihre Bedeutung schwindet. Das ist nun ein deutliches Signal, wie gravierend das Problem ist“, sagt Hartmann-Wendels.
Der erste Abstieg des Dax-Gründungsmitglieds Commerzbank aus dem Kreis der 30 führenden börsennotierten Unternehmen in Deutschland – ausgerechnet im Jahr des 30. Jubiläums des Leitindex – scheint kaum noch zu verhindern zu sein (Artikel unten). Gemessen am Börsenwert ist die einst zweitgrößte deutsche Bank schon lange kein Schwergewicht mehr – ebenso wie Deutschlands führendes Geldhaus, die Deutsche Bank: Die Commerzbank ist an der Börse nach jüngsten Zahlen noch etwas mehr als 10 Milliarden Euro wert, die Deutsche Bank kommt auf 20,5 Milliarden Euro. Sowohl die europäische Konkurrenz – etwa die französische BNP Paribas (64 Mrd. Euro) als auch die spanische Santander (70 Mrd. Euro) – sind deutlich mehr wert. Meilenweit entfernt sind die großen Wall-Street-Häuser, allen voran die größte US-Bank JPMorgan Chase mit 335 Milliarden Euro Börsenwert.
Fakt ist: Die Konkurrenz etwa in den USA und der Schweiz verdient wieder kräftig Geld, während hierzulande zehn Jahre nach der Krise noch umgebaut und aufgeräumt wird. Der seit April amtierende Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing bemüht sich zwar um ein höheres Tempo, räumte jüngst aber ein: „Es gibt noch viel zu tun.“
Dass Wirecard beim Thema Zahlungsverkehr groß rauskommt, ist das eine. Die Fintech-Konkurrenz macht sich aber auch im Einlagen- und Kreditgeschäft breit. Trotz aller Initiativen werden Banken nach Einschätzung von Hartmann-Wendels „den Rückstau bei der Digitalisierung so schnell nicht aufholen können. Im Moment ist auch sonst wenig Licht am Ende des Tunnels für die klassischen Banken.“