Interview mit Salesforce-Deutschland-Chef Joachim Schreiner

„In Deutschland werden wir SAP überholen“

von Redaktion

Der US-Technologiekonzern Salesforce hat in den vergangenen Jahren ein rasantes Wachstum hingelegt: 1999 wurde das Unternehmen vom kalifornischen Cloud-Computing-Pionier Marc Benioff gegründet, inzwischen ist der Konzern aus San Francisco neben Microsoft, Oracle und SAP einer der größten Software-Hersteller der Welt. Im Geschäftsjahr 2017 gelang es Salesforce, den weltweiten Umsatz um 25 Prozent auf knapp 10,5 Milliarden Dollar zu steigern. Das Unternehmen verdient sein Geld mit Cloud-Dienstleistungen für Firmenkunden, die deren Vertrieb verbessern sollen. Cloud ist der englische Begriff für Wolke. Daten werden dabei nicht auf einem lokalen Rechner oder Server, sondern in Rechenzentren gespeichert. Der Zugriff auf die Daten ist dabei jederzeit möglich. In Deutschland arbeiten über 500 Beschäftigte für das IT-Unternehmen, die meisten davon in der Zentrale in München. Wir sprachen mit Deutschland-Chef Joachim Schreiner über das enorme Wachstum der vergangenen Jahre und das Geheimnis des überraschenden Erfolgs.

-Vor über zehn Jahren haben Sie Salesforce nach Deutschland geholt. Wie kam es dazu?

Als ich 2007 mit Salesforce in München angefangen habe, wollte ich nicht der typische Deutsche sein, der sagt: Cloud-Computing funktioniert in Deutschland nicht. Trotzdem war in den ersten Jahren das rasante Wachstum noch nicht abzusehen. Noch 2010 hatten wir ein kleines Büro in der Elisabethstraße in München. Dort waren wir gerade einmal zehn Mitarbeiter.

-Wie ging es dann weiter?

Nachdem wir einen ersten Kundenstamm hatten, änderten wir unsere Philosophie: Aus „Salesforce in Germany“ wurde „Salesforce Germany“ als eigene Marke. Denn nach etwa drei Jahren war klar: Hier entsteht etwas Großes und wenn das in diesem Tempo weitergeht, werden wir bald größer sein als SAP. Unser Ziel war damit klar: Wir wollen das größte deutsche Software-Unternehmen werden.

– SAP ist bis heute Ihr größter Rivale geblieben.

Ich hab unserem Gründer Marc Benioff einmal im Scherz gesagt: Du hast mich in Deutschland hinter die feindlichen Linien abgesetzt. Und zwar mit der einfachen Aufgabe, den Deutschen zu erklären, dass es toll ist, ihre Daten in den USA zu speichern. Damals hatten wir noch keine Server in Europa.

-Ist das heute anders?

Die Nutzer unserer Cloud können wählen, ob ihre Kundendaten in einem Rechenzentrum in Deutschland, Europa oder in den USA gespeichert werden sollen. Der Datenschutz ist oft weniger entscheidend: Wir haben beispielsweise in Frankfurt einen Textilfarbenhersteller, der 80 Prozent seines Geschäfts in Asien macht. Der hat gesagt, er möchte seine Kundendaten in einem Rechenzentrum in Asien speichern, damit er dort schnellen Zugriff hat. Wir als Salesforce sehen die Kundendaten auch nicht. Lediglich unsere Künstliche Intelligenz hilft den Nutzern, die Daten zu interpretieren.

-Das klingt kompliziert. Wie funktioniert das genau?

Einer unserer Kunden ist beispielsweise Ticketmaster. Also ein Händler, der Konzertkarten online verkauft und dafür unsere Marketing-Cloud nutzt. Wir haben beispielsweise festgestellt, dass die Menschen immer dann ein Ticket kaufen wollen, wenn sie von einem Konzert nach Hause kommen – nur hat mitten in der Nacht leider kein Ticket-Laden mehr geöffnet. Aber mit diesem Wissen kann Ticketmaster gezielt Angebote bewerben. Außerdem haben wir mit dem Unternehmen eine App entwickelt, die auf dem Handy nachschaut: Welche Musik hört der Kunde gerne? Welche Konzertkarten können wir ihm anbieten? Auch Flixbus nutzt unsere Cloud, um Bustickets effizienter verkaufen zu können. Auch der Webshop von Adidas läuft über unsere Software. Und momentan arbeiten wir mit dem Buchhändler Thalia an einem Projekt für deren Online-Shop. Der Thalia-Chef hat ganz klar gesagt: Wegen der Konkurrenz zu Amazon braucht er eine Plattform, mit einer ähnlichen Geschwindigkeit. Und das wollen wir Thalia anbieten.

-Das erklärt aber noch nicht das explosionsartige Wachstum von Salesforce.

Unser Geschäftsmodell basiert darauf, dass der Kunde die Software nicht kaufen muss, sondern sie anhand seines Nutzens abonniert. Wir orientieren uns dabei sehr eng am Kunden.

-Dass der Kunde im Mittelpunkt steht, würde ein Vertreter von SAP oder Microsoft vermutlich genauso sagen.

Das glaube ich nicht. Microsoft und SAP würden vermutlich über die Klasse ihrer Produkte reden.

-Cloud-Computing spielt aber auch bei diesen Unternehmen inzwischen eine große Rolle.

Aber noch nicht sehr lange. Wir machen das dagegen seit 19 Jahren. Wir sind eigentlich der Erfinder, Software über eine Cloud im Geschäftskundenbereich einzusetzen. Wir sind in einer Kultur zu Hause, in der es heißt: Der Kunde steht an erster Stelle. Uns geht es darum, dass unsere Kunden durch die Nutzung unserer Software bessere Geschäfte machen. Wäre das nicht der Fall, hätten wir in einem Markt, in dem es Unternehmen wie SAP längst gab, nie überleben können.

-Warum hat sich Salesforce in Deutschland für den Standort München entschieden? In München müssen Sie auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt mit Google, Microsoft und IBM um IT-Fachkräfte kämpfen.

Das ist richtig. Aber in München finden sich auch die meisten Fachkräfte.

-Trotz des Konkurrenzkampfes?

Das ist mehr ein Problem für die anderen als für uns. Salesforce ist momentan ein Hype, das ist eine coole Marke. Leute wollen gerne für Salesforce arbeiten. In einigen Rankings haben wir zuletzt als zweitbester Arbeitgeber in Bayern abgeschnitten. Wir sehen uns als traditionelles Familienunternehmen mit Eigenschaften wie Vertrauen, Ehrlichkeit und Langfristigkeit.

-Wobei ein traditionelles Familienunternehmen deshalb so genannt wird, weil die Mehrheitseigentümer Teil einer Familie sind. Salesforce dagegen ist eine US-amerikanische Aktiengesellschaft.

Letztendlich ist der Gründer Marc Benioff unser großer Vater. Mit Familienunternehmen meine ich, dass wir als Unternehmen auch Werte vertreten. Marc ist auch derjenige, der aufsteht und politische Statements abgibt.

-Zum Beispiel?

Es gab in Indianapolis den Versuch, die Rechte von Schwulen und Lesben zu beschneiden. Marc hat dagegen protestiert und gesagt: Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, ziehen wir sämtliche Investitionen und Mitarbeiter aus Indianapolis ab. Marc bezieht auch sehr klar Position zur Trennung von mexikanischen Familien in den USA. Und in München unterstützt Salesforce die Mitarbeiter bei der Betreuung von Flüchtlingen. Auch hatten wir beim Christopher Street Day in München unseren eigenen Wagen. In einer Zeit, in der Menschen mit einfachen Methoden versuchen, auf Stimmenfang zu gehen, müssen wir als Unternehmen ein Zeichen setzen.

– Sie haben eingangs das Ziel erwähnt, Deutschlands größtes Software-Unternehmen werden zu wollen. Wann wird das der Fall sein?

Ich bin jetzt 56 Jahre alt – und ich bin mir sicher, dass das vor meiner Pensionierung so weit sein wird. Die Marktkapitalisierung von SAP lag zuletzt bei 140 Milliarden Dollar. Die Marktkapitalisierung von Salesforce lag gleichzeitig bei 105 Milliarden Dollar. Wenn SAP zwischen drei und fünf Prozent wächst und wir zeitgleich zwischen 30 und 35 Prozent wachsen, lässt sich leicht ausrechnen, wann wir SAP bei der Marktkapitalisierung überholt haben. Dann folgt der nächste Schritt – und wir überholen SAP im Umsatz.

-Auch auf dem deutschen Heimatmarkt?

In Deutschland wird das vermutlich mit etwas Verspätung der Fall sein, da SAP hier verglichen mit dem Rest der Welt nach wie vor einen großen Marktanteil besitzt. Aber auch in Deutschland werden wir SAP überholen.

Interview: Sebastian Hölzle

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