München – Der 30. März 2019 könnte einer der chaotischsten Tage in der Nachkriegsgeschichte Europas werden – falls Großbritannien ohne Folgeabkommen aus der EU austritt. Der Inselstaat hätte damit aus EU-Sicht den Status eines Drittlandes, mit allen damit verbundenen Zoll- und Handelsbeschränkungen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat inzwischen einen Krisenstab mit über 200 Experten eingerichtet und einen 46 Seiten dicken Brexit-Leitfaden an die Unternehmen verschickt. Zwar drängen die Wirtschaftsverbände weiterhin auf eine Lösung am Verhandlungstisch, die ersten Firmen haben aber bereits Konsequenzen gezogen. Ein Überblick.
BMW
Der Münchner Autobauer BMW trifft inzwischen Vorkehrungen, falls es Ende März zu einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens kommt. „Wir haben mit dem Aufbau zusätzlicher Lagerkapazitäten in Großbritannien begonnen, falls es an der Grenze zu Verzögerungen kommen wird“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens unserer Zeitung. BMW transportiere täglich tausende Teile über den Ärmelkanal. Die Lagerkapazitäten seien nötig, um auch nach einem ungeregelten Brexit die Just-in-Time-Produktion in Großbritannien zu gewährleisten, sagte die Sprecherin. BMW fertigt auf der Insel Fahrzeuge der Marken Mini und Rolls-Royce. Außerdem ist Großbritannien für BMW der viertwichtigste Absatzmarkt. Auch auf Zölle stellt sich der Autobauer aus München inzwischen ein: „Unsere Prozesse werden auf ein klassisches Drittland-Szenario ausgerichtet“, sagte die Sprecherin. Ein Investitionsstopp in Großbritannien sei aber nicht geplant.
Airbus
Anders bei Airbus: Der Luftfahrt- und Rüstungskonzern droht im Falle eines harten Brexits mit dem Teil-Rückzug aus Großbritannien. Falls das Land im März ohne Abkommen aus der EU aussteige, würde dies laut Airbus zu einer „schweren Störung und Unterbrechung“ der Produktion führen. „Dieses Szenario würde Airbus dazu zwingen, seine Investitionen im Vereinigten Königreich und seinen langfristigen Fußabdruck im Land zu überdenken.“
Panasonic
Beim japanischen Elektronikkonzern Panasonic ist es bereits jetzt beschlossene Sache, dass die Europazentrale von London nach Amsterdam verlegt wird. Der Umzug soll im Oktober stattfinden. Panasonic nannte als Grund Steuerfragen sowie Bedenken hinsichtlich des Personen- und Warenaustauschs. Japan könnte Großbritannien nach dem EU-Austritt als Steuerparadies einstufen, falls die Regierung die Körperschaftsteuer drastisch senken sollte.
Deutsche Bank
Die Deutsche Bank verlagert einen großen Teil ihrer Geschäfte mit Euro-Finanzderivaten von London nach Frankfurt. Das gelte für die Abwicklung neuer, nicht laufender Geschäfte, sagte ein Sprecher. Ein Jobtransfer sei mit der Verlagerung aber nicht verbunden, das Personal arbeite weiter von London aus.
Credit Suisse
Frankfurt und Madrid profitieren von der Brexit-Strategie der Schweizer Großbank Credit Suisse: Das Unternehmen will etwa 250 Investmentbanker und Mitarbeiter aus London sowohl nach Deutschland als auch nach Spanien und Luxemburg verlegen. Dem Vernehmen nach sollen künftig etwa 50 Händler zusätzlich in Frankfurt arbeiten.
JP Morgan Chase
Die US-Großbank JP Morgan Chase beginnt mit der Verlagerung erster Jobs nach Kontinentaleuropa. Es geht zunächst um „einige dutzend“ Mitarbeiter, erklärte ein Sprecher des Geldhauses. Wie viele Stellen insgesamt betroffen sein könnten, hänge davon ab, ob und worauf sich Großbritannien beim Brexit letztlich mit der EU einigt.
Jaguar Land Rover
Der britische Autobauer Jaguar Land Rover überdenkt Investitionen in Milliardenhöhe – und sieht tausende Mitarbeiter vor einer unsicheren Zukunft.
Ratingagenturen
Die führenden Ratingagenturen bauen ihre Präsenz in Frankfurt aus. Fitch und Moody’s verdoppeln laut „FAZ“ ihr Personal in der Bankenmetropole. Für die Ratingagenturen seien die Brexit-Folgen bereits konkret: Die EU-Wertpapierbehörde mache klare Vorgaben, eine „ausreichende“ Präsenz innerhalb der EU aufzubauen.
Mittelstand
Im deutschen Mittelstand nimmt die Verunsicherung zu. Viele Betriebe stellen sich „notgedrungen auf den härtesten möglichen Brexit ein, also Grenzkontrollen, Zölle, mehr Bürokratie und deutlich höhere Kosten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, der „Rheinischen Post“. Die Brexit-Verunsicherung habe inzwischen einen Höchststand erreicht. „In einem halben Jahr droht der Brexit, aber niemand weiß, welcher“, sagte er. sh/dpa/afp