Ingolstadt – Es dauert zwei Nachfragen lang, bis Martin Sander mit der Wahrheit herausrückt: Nur etwa ein Drittel aller gut 100 beim Ingolstädter Hersteller existierenden Motor-Getriebe-Varianten seien nach dem neuen Abgasprüfzyklus WLTP (Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure) umgestellt und zulassungsfähig, räumt der deutsche Audi-Vertriebsleiter ein.
Es werde bis zum Jahresende dauern, bis Audi wieder auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb sei und wirklich alle Modelle EU-weit wieder WLTP-zertifiziert in den Vertrieb kommen. Genauere Prognosen wagt man bei Audi nicht. Man müsse von Woche zu Woche sehen.
Was sich die Ingolstädter allein in Deutschland eingebrockt haben, zeigt die Zulassungsstatistik für September. Denn seit Anfang dieses Monats dürfen nur solche Autos neu zugelassen werden, die den neuen und praxisnäheren Prüfstandstest WLTP durchlaufen haben. Das hat branchenweit für Verwerfungen gesorgt, wie Zahlen des Kraftfahrtbundesamts (KBA) belegen: Gut 200 000 Pkw und damit gut 30 Prozent weniger als ein Jahr zuvor wurden laut KBA im September 2018 bundesweit neu zugelassen. Am schlimmsten erwischt hat es Audi mit einem Rückgang von 78 Prozent. Im Durchschnitt des VW-Konzerns waren es 62 Prozent, bei Mercedes 21 Prozent und bei BMW gut ein Prozent.
Das spiegelt wider, wie die einzelnen Hersteller das WLTP-Problem im Griff haben. Trotz der Zahlen beharrt Sander darauf, sich intensiv auf die Umstellung vorbereitet zu haben, die den Verkauf in der EU und damit 40 Prozent des globalen Audi-Absatzvolumens betrifft.
Er versteht darunter vorgezogene Verkäufe bis Ende August. Das hat speziell im Juli und August für ein Strohfeuer gesorgt, das teils mit hohen Rabatten erkauft worden ist, kritisieren Branchenkenner. „Die Vorbereitung hat funktioniert“, sagt Sander mit Blick auf einen Rekordabsatz bis Ende August.
Nun kommt das dicke Ende oder „die nächste WLTP-Phase“, wie Sander sagt. „Uns stehen schwierige Monate mit schwankenden Auslieferungen bevor“, gesteht der Leiter der Audi-Vertriebsplanung, Alexander Buk. Das Problem schrumpfe nun aber Monat für Monat mit jeder neuen Freigabe durch das KBA. Wo diese Freigabe absehbar ist, produziert Audi auf Verdacht vor. Es ist ein Durchhangeln im Notfallmodus.
Mit Audi-Händlern wurde ein Online-Chatroom eingerichtet, um dem Vertrieb so schnell wie möglich sagen zu können, wenn eine neue Motor-Getriebevariante verkaufsfähig ist. Auch eine eigene WLTP-Taskforce zum Krisenmanagement wurde gegründet. Wenn Kunden einen Audi kaufen wollen, der noch nicht WLTP-zertifiziert ist, werden ihnen zu günstigen Konditionen Alternativmodelle zur Kurzzeitmiete angeboten, um die Wartezeit zu überbrücken. Zum selben Zweck werden notfalls auch bestehende Leasing-Verträge zu Vorzugskonditionen verlängert, bis das neue Wunschauto verfügbar ist.
„Wir haben Maßnahmen ergriffen, die eher unüblich sind“, sagt Sander. Zu den Kosten schweigt er: „Es ist eine Ausnahmesituation in den nächsten Wochen.“ Das schlägt auf die Produktion durch. In Ingolstadt stehen auf einer von drei Produktionslinien zumindest noch im Oktober für eine Woche schichtweise die Bänder still, nachdem Audi den Betriebsurlaub in diesem Sommer WLTP-bedingt zwei Wochen verlängern musste.
Auch im Werk Neckarsulm gibt es im Oktober für Modelle wie den A8 bis zu fünf produktionsfreie Tage, die über Arbeitszeitkonten und Zeitgutschriften abgefedert werden, sagen Audi-Manager. Weil Verkäufe außerhalb der EU nicht von WLTP betroffen sind und das Geschäft für Audi speziell in China, aber auch den USA gut läuft, rechnen die Ingolstädter für den globalen Absatz 2018 noch mit Stagnation bei knapp 1,9 Millionen Verkäufen. Diese Prognose gelte derzeit noch, erklärte ein Audi-Sprecher. Das klingt nicht so. als ob man sich darauf verlassen kann.