München – Es trägt Züge einer Trauerprozession, was sich am Mittwochmorgen vom U-Bahnhof im Morgengrauen in Richtung Münchner Olympiahalle in Bewegung setzt. Meist schweigend, mal murmelnd, selten erbost. Es sind geschädigte Anleger, die sich auf den Weg zur ersten Gläubigerversammlung der pleitegegangenen Containerfirma P&R machen. Gut 3000 Geschädigte haben sich bei Insolvenzverwalter Michael Jaffé angemeldet. Knapp 2000 Anleger sind nach Schätzung von Teilnehmern gekommen. Gut ein Drittel der Geschädigten ist über 70 Jahre alt.
„Ich bin für meinen Vater da“, sagt eine etwa 50-jährige Frau. Um wie viel Geld es in seinem Fall geht, behält sie für sich. Nur dass sie ihrem Vater jetzt finanziell helfen muss, ist zu erfahren. Von Jaffé erhofft sie sich Auskunft darüber, was noch zu retten ist und ob gegen Verantwortliche geklagt wird. So geht es vielen.
Die 1975 von Unternehmer Heinz Roth und einer Partnerin gegründete P&R ist ein Urgestein des grauen Kapitalmarkts. Sie hat an Anleger große Schiffscontainer verkauft, die dann zurück- und an Reeder weitervermietet wurden. Am Ende wurden die Gebrauchtboxen zurückgekauft. Das und die Miete ergaben die Rendite. Das Geld ist jahrzehntelang zuverlässig geflossen. Wer einmal investiert hatte, hat oft erneut angelegt und Familienmitglieder dazu animiert. Über Generationen hinweg wurde in P&R angelegt. Bei der Pleite im Frühjahr waren es insgesamt 3,5 Milliarden Euro, verteilt auf bundesweit 54 000 Anleger.
Zu ihnen zählt der Vater der Frau, die jetzt in die Olympiahalle geht. Die Veranstaltung ist nicht öffentlich. Presse hat keinen Zutritt. Der ist Geschädigten und Vertretern mit Vollmacht vorbehalten.
Zu ihnen zählen Rechtsanwälte der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), die alleine rund 800 Geschädigte vertritt. Die Juristen sind munitioniert: Zwei Gutachten hat die SdK im Vorfeld des ersten Gläubigertreffens erstellen lassen – eines zur wirtschaftlichen Tragfähigkeit der P&R-Gruppe und ein zweites zur Haftungsfrage. „Das Geschäftsmodell von P&R war seit Jahren erkennbar nicht langfristig tragfähig“, ist die Kernerkenntnis einer Expertise. Die Anlegern garantierten Containermieten hätten weit über Marktpreisen gelegen. Gleiches gelte für die Rückkaufspreise. Anlegern versprochene Zahlungen hätten deshalb zunehmend mit frisch eingeworbenem Geld neuer Anleger befriedigt werden müssen.
Das deckt sich mit den bisherigen Erkenntnissen Jaffés, der einen Fehlbestand von einer Million Container entdeckt hat. 1,6 Millionen Transportboxen hat P&R an Anleger verkauft. Nur 618 000 Container hat es am Ende wirklich gegeben. Deshalb sitzt Roth nun auch in Untersuchungshaft, während Jaffé versucht, Vermögenswerte der P&R-Mutterfirma in der Schweiz zu sichern.
Das zweite SdK-Gutachten will die Frage klären, ob Finanzberater bei der Vermittlung von P&R-Anlagen die schneeballartigen Strukturen hätten erkennen und warnen müssen. Berater seien auch renommierte Geldhäuser wie die Commerzbank oder die Postbank gewesen, sagt SdK-Chef Daniel Bauer. Das Gutachten habe Grundlagen für Schadenersatzansprüche gegen Vermittler bestätigt. Die Anlegerschützer raten deshalb zur Klage, auch weil über diesen Weg mutmaßlich am meisten zu holen ist. Das Privatvermögen von Roth und anderer Manager reiche nicht einmal ansatzweise, um die offenen Milliardenansprüche zu bedienen.
Klagen aber dauern und ihr Erfolg ist ungewiss. Die oft im Seniorenalter stehenden P&R-Gläubiger brauchen möglichst schnell, was noch an Werten aufzutreiben ist. Darauf arbeitet Jaffé hin und stellt eine erste Abschlagszahlung für 2020 in Aussicht. Durch Weitervermietung der Container könnten bis 2021 rund 560 Millionen Euro zusammenkommen, sagte Jaffé. Andererseits gestalte es sich schwierig, Vermögenswerte in der Schweiz zu sichern und nach Deutschland zu transferieren. Wird eine Folgeinsolvenz der dortigen P&R-Mutter vermieden, könnten bis zu eineinhalb Milliarden Euro gerettet werden, schätzt Gläubigeranwalt Peter Mattil. Das wäre ein Drittel des Anlagevolumens. Andere Experten glauben an höchstens ein Viertel oder noch weniger. Die Ungewissheit bleibt.