„Handwerk bietet heute Chancen wie nie“

von Redaktion

Brexit, Nachwuchssorgen, übervolle Auftragsbücher: Das Handwerk ist keineswegs sorgenfrei, aber dennoch eine Branche mit vielfältigen Perspektiven. Das zeigt sie seit gestern in München, wo die Internationale Handwerksmesse (IHM) ihre Tore öffnete.

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat zum Auftakt der Internationalen Handwerksmesse in München vor schwierigen wirtschaftlichen Zeiten gewarnt. Er nannte vor allem die Gefahr eines ungeordneten Brexits, der auch das Handwerk betreffen werde.

Gleichwohl rechnet die Branche für heuer erneut mit steigenden Umsätzen von bis zu vier Prozent. Allerdings gehen laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) nur noch 12 Prozent der Betriebe von einer Verbesserung aus – vor einem Jahr waren es noch rund 50 Prozent.

Holger Schwannecke, Generalsekretär des ZDH: „Die Auftragslage ist hervorragend, die Geschäfte laufen gut“, sagt der für den Wirtschaftsbereich mit rund einer Million Betriebe und 5,5 Millionen Beschäftigten Zuständige. Ungeachtet schwächelnder Industriekonjunktur werde das Handwerk in Deutschland 2019 wie im Vorjahr weitere rund 30 000 Stellen aufbauen. Auch das Umsatzwachstum schwäche sich dieses Jahr mir vier Prozent auf rund 634 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahresplus von fünf Prozent kaum ab.

Das heißt nicht, dass die Branche sorgenfrei ist. Das weiß jeder, der einen Handwerker braucht und immer länger auf Termine warten muss. Denn bundesweit bis zu 250 000 Bauarbeiter jeder Art sowie Beschäftigte aller Lebensmittelgewerke würden derzeit sofort eingestellt, gäbe es solche Arbeitssuchenden. Es droht, noch schlimmer zu werden. Schon vergangenes Jahr blieben branchenweit rund 17 000 Ausbildungsplätze unbesetzt.

In den nächsten Jahren stehen zudem in 200 000 Handwerksbetrieben deutschlandweit Unternehmensnachfolgen an. Wer die antritt, ist vielfach völlig offen. Etwa die Hälfte aller Betriebe wird innerhalb von Familien übergeben, ein weiteres Viertel an Mitarbeiter, besagt eine Faustregel. Bleiben rund 50 000 Betriebe, die extern einen Nachfolger suchen, aber mangels Nachwuchs und Interessenten nur sehr schwer finden. Ändern lasse sich der ausufernde Notstand nur durch einen Kraftakt, meint der ZDH. Man müsse alle inländischen Potenziale anzapfen, etwa Frauen und Migranten, politisch eine Bildungswende hin zur Gleichberechtigung von beruflicher und akademischer Ausbildung ausrufen und das auf der Zielgeraden befindliche Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung unverwässert bis Mitte 2019 abschließen.

Weiblicher wird das Handwerk bereits. Jede vierte Gründung eines Handwerksbetriebs und jede sechste erfolgreiche Meisterprüfung gehen mittlerweile auf das Konto einer Frau. Jeder fünfte Handwerksbetrieb hat eine Chefin. Fast ein Viertel aller Lehrlinge ist weiblich. Technisches Handwerk bleibt aber vielfach noch eine Männerdomäne. Den Fachkräftemangel entschärfen helfen auch Migranten. Rund 17 000 Lehrstellen habe man voriges Jahr aus diesem Kreis besetzten können, schätzt man bei ZDH. Das war mehr als jeder zehnte Lehrling. Dazu kommt, dass auch das Handwerk immer digitaler wird und mit sogenannten Cobots dem Menschen zuarbeitende Roboter als neue Kollegen vor der Tür stehen. Das ist einer von 25 Trends, die Trendforscher Peter Wippermann für das Handwerk auf einer eigens erstellten Trendmap 2025 ausmacht. Handwerker brauchen beim Einsatz von Cobots keine Programmierkenntnisse, weil die eigenständig lernen und Aufgaben wiederholen können, die ein Mensch ihnen am Computerarm gezeigt hat. Auch 3D-Druck hält im Handwerk verstärkt Einzug, wenn Wippermann nicht irrt. Die Einsatzmöglichkeiten gehen hier von orthopädischen Hilfsprodukten über Schokolade bis zur Zahntechnik. Überall dort, wo Einzelanfertigungen gefragt sind, ist 3D-Druck künftig Mittel der Wahl. Schwannecke glaubt aber nicht, das Cobots und andere Formen der Digitalisierung den Fachkräftemangel im Handwerk merklich dämpfen werden. Ermöglicht werde dadurch vor allem höhere Qualität und eine für breitere Schichten erschwingliche Renaissance der Maßanfertigung. Um die sich zur Wachstumsbremse auswachsende Fachkräftelücke zu schließen, brauche es vor allem menschlichen Nachwuchs. „Wer sein eigener Chef sein will, hat im Handwerk so große Chancen wie nie“, wirbt Schwannecke.

Wohin Handwerk führen kann, zeigen Erfolgsgeschichten wie die der Langhaarmädchen. So haben die beiden Friseurmeisterinnen Mona Mayr und Julia Schindelmann ihr Startup genannt. Per Stylingbus kommen sie zu ihrer Kundschaft und zelebrieren Arbeit als Event. Das Duo ist binnen Jahresfrist sogar zur Marke geworden mit einer eigenen Pflege- und Stylingserie. Der Boden des Handwerks ist nicht nur golden – sondern auch facettenreich.

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