Um den Wettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Streit entbrannt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die elf regionalen AOKen bundesweit öffnen. Widerspruch kommt aus Bayern von Gesundheitsministerin Melanie Huml /CSU) und von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Wir sprachen darüber mit AOK-Bayern-Chefin, Irmgard Stippler.
Gesundheitsminister Jens Spahn will die AOKen für den bundesweiten Wettbewerb öffnen. Sie warnen, das gefährde die regionale Versorgung. Ist das nicht ein wenig drastisch?
Nein. Denn im knallharten Preiswettbewerb würde am Ende die regionale Gesundheitsversorgung auf der Strecke bleiben. Die Betreuung in den ländlichen Gebieten würde weniger. Wir wollen aber besonders auf diejenigen schauen, die krank und pflegebedürftig sind. Für diese Menschen wollen wir passgenaue Lösungen mit Ärzten, Kliniken und Pflegekräften entwickeln. Diese Lösungen sehen in Unterfranken anders aus als in München oder Niederbayern. Das geht eben nur, wenn man vor Ort ist.
Aber bei den bereits bundesweit geöffneten Kassen funktioniert die Versorgung doch auch.
Man kann aber auch die Entwicklung beobachten, dass die bundesweiten großen Kassen in Bayern nach und nach immer mehr ihrer Geschäftsstellen geschlossen haben. Und im Falle einer Öffnung der regionalen Kassen käme es zu einem knallharten Preiswettbewerb. Die Versorgung der kranken und pflegebedürftigen Menschen würde zweitrangig werden. Wir könnten dann mit unseren Experten – sprich den Pflegeberatern oder Versichertenbetreuern – nicht mehr in jeder Region vertreten sein. Hochwertige Arbeitsplätze werden so infrage gestellt. Gesundheitsprojekte vor Ort, wie zum Beispiel Ärztenetze, wären dann nicht mehr möglich. Auch spezifisch bayerische Hausarzt- oder Kinderarztverträge werden fraglich.
Andere sagen, die derzeitige regionale Macht der AOKen erdrücke jeden echten Wettbewerb.
Dieses Argument von Jens Spahn und anderen Kassen ist nur vorgeschoben. Es gibt in Bayern rund 50 Kassen, die miteinander konkurrieren. Das ist Wettbewerb pur. Doch gerade die Öffnung regionaler Kassen würde für weniger Wettbewerb sorgen. Der Druck zu fusionieren würde drastisch steigen. Dieser Teil des Gesetzes ist deshalb eine Mogelpackung. Vielleicht ist es aber auch das Ziel von Jens Spahn, am Ende eine zentralistische Einheitskasse zu schaffen.
Warum sollte Spahn das wollen?
Das müssen Sie ihn selbst fragen.
Anders als die meisten Kassen, stehen die Ortskrankenkassen bisher unter Aufsicht des Bundeslandes. Kritiker sagen, die AOKen würden vor allem die strengere Aufsicht durch das Bundesversicherungsamt fürchten.
Da steht der latente Vorwurf im Raum, die Länderaufsichten seien bei den regionalen Krankenkassen nicht so streng. Ich kann das nicht bestätigen. Auch dieses Argument ist vorgeschoben. Die Aufsichten auf Bundes- und Landesebene tauschen sich eng aus, sie haben auch die gleichen Prüfstandards. Und wir begrüßen das. Denn fairen Wettbewerb kann es nur geben, wenn alle die gleichen Rahmenbedingungen haben.
Glauben Sie, Spahns Pläne nun noch abwenden zu können?
Wir wissen, dass die bayerische Staatsregierung unsere Sorge um die regionale Gesundheitsversorgung teilt. Aber auch andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Sachsen leisten heftigen Widerstand gegen Spahns zentralistische Pläne. Wir werden sehen, was im parlamentarischen Verfahren geschieht.
Haben Sie denn einen Alternativvorschlag?
Für uns kann die Alternative nur sein, dass die Regionalität erhalten bleibt und der Wettbewerb um die beste Versorgung ausgebaut wird. Herr Spahn könnte es ja den großen bundesweiten Kassen ermöglichen, regionale Beitragssätze zu erheben. Dann würde sich auch dort der Blick für die Versorgungsbedürfnisse vor Ort schärfen. Das ist übrigens eine Idee, die es auch schon 1992 im Rahmen der wegweisenden Lahnsteiner Kompromisse gab, die den Versicherten damals die freie Kassenwahl brachten. Auf dieses Ereignis beruft sich Herr Spahn ja sehr gerne.
Interview: Sebastian Horsch