Das Einkaufsverhalten der Deutschen ändert sich dramatisch, immer mehr kaufen online ein. Stirbt der stationäre Handel? Der Münchner Ernst Läuger (56), Präsident des Handelsverbandes Bayern, erklärt im Interview, was die Digitalisierung für die Branche bedeutet – und warum die Ladenmieten in Münchner Eins-a-Lagen inzwischen sinken.
Herr Läuger, wie geht‘s dem bayerischen Einzelhandel?
Wir hatten im ersten Quartal ein Umsatzplus zwischen 2,5 und drei Prozent. Damit liegen wir über der Entwicklung in Deutschland.
Woran liegt das?
Der Handel wird fast zur Hälfte vom täglichen Bedarf beeinflusst. Und da wir in Bayern Zuzug haben, geht natürlich der Umsatz rauf, weil die täglichen Bedürfnisse ja nicht weniger werden.
Wie war im Vorjahr der Zuwachs?
Etwa 3,6 Prozent. Heuer wird’s etwas weniger, aber das liegt nicht an der Konjunktur oder der Arbeitsmarktlage, sondern am geringeren Zuzug. Und da muss man die Flüchtlingsthematik miteinbeziehen. Wir haben seit 2015 über zwei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Und das schlägt sich auch im Umsatz nieder. Vor allem im Lebensmittelhandel.
Werden künftig auch andere Händler davon profitieren?
Noch geht es um den täglichen Bedarf, aber das wird sich ändern. Andererseits stellen wir auch fest, dass sich die Fokussierung der Verbraucher auf bestimmte Bereiche verändert. Die jüngere Generation ist längst nicht mehr so Auto-affin, statt für Kleidung und Schuhe gibt man sein Geld lieber für anderes aus.
Zum Beispiel?
Für Reisen oder die Freizeitgestaltung. Das ist eine Veränderung, die wir seit einigen Jahren beobachten. Und die auch damit zusammen hängt, dass man sich zum Beispiel im Textilbereich heute weit günstiger versorgen kann als noch vor zehn Jahren.
Wie bedrohlich ist der Online-Handel für stationäre Händler?
Der stationäre Handel hat in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt rund 25 Prozent Umsatz verloren. Das ist schon eine Hausnummer. Das hat dazu geführt, dass im Textilbereich in den letzten zehn Jahren 27 Prozent der Ladenlokale verloren gegangen sind.
Ist jeder Einzelhändler heute online vertreten?
Von unseren Mitgliedern – das sind 25 000 Einzelhändler – haben rund 90 Prozent einen Online-Auftritt und 20 Prozent versuchen es mit einem Online-Shop. Umsatzzahlen gibt es dazu aber noch nicht. Entscheidend ist vielmehr, dass man im Netz gefunden werden kann.
Was gibt es denn für Konzepte, um künftig Kunden zu gewinnen?
Wir haben im Grunde drei Spannungsfelder, die wir überdenken müssen. Dazu gehört der Auftritt des Unternehmens mit der Frage nach dem Standort – Stichwort Fahrverbote. Zweitens: Wie stelle ich mein Sortiment zusammen? Bleib’ ich beispielsweise nur Textilhändler oder muss ich mehr bieten? Also alles, was zum persönlichen Outfit gehört? Drittens: Mitarbeiter schulen und mitnehmen, damit sie Verbraucherwünsche erfüllen können. Zum Beispiel mit digitalen Spiegeln, die passgenau zeigen, wie eine Brille oder ein Kleidungsstück sitzt und das in allen denkbaren Farben und Formen. Im Geschäft reicht es dann, nur ein Modell vorrätig zu haben. Das spart Fläche und damit Geld.
Was bedeutet es, wenn keine Autos mehr in die Innenstadt dürfen?
Wenn man sich in London, Mailand und Florenz umhört, also in Städten mit Citymaut oder verkehrsberuhigter Altstadt, dann wird nicht von Schreckensszenarien berichtet. Wichtig ist dann vor allem, dass wir uns dann genau überlegen, wie wir die Innenstadt bespielen können.
Was heißt das?
Wir brauchen ein Gesamtkonzept, in dem sich Stadt, Gastronomie, Kultur und der Einzelhandel abstimmen. Am besten unter Federführung eines Citymanagers, der die Aktivitäten bündelt und – je nach Größe der Stadt – mit einem Stab ausgestattet ist, der die digitalen Auftritte abstimmt und darstellt.
Ein Beispiel bitte.
Bei Kulturveranstaltungen, zum Beispiel bei der Langen Nacht der Musik oder der Museen, sollten wir auch öffnen dürfen.
Es geht also um Öffnungszeiten?
Wir bräuchten in solchen Fällen auf jeden Fall eine Öffnung ohne Restriktionen – die Regulierung würde der Markt allein richten. Weil wir ja wirtschaftlich handeln müssen. Aber entscheidend ist, dass der Konsument Lust hat, zu uns und in unser Umfeld zu kommen. Letztlich müssen wir alle an einem Strang ziehen, ansonsten werden die Städte verlieren. Man kriegt das ja über die Immobilienwirtschaft mit, dass es in der Erstvermietung immer schwieriger wird, die für den Handel gedachten Flächen auch zu besetzen – weil der Handel in der Form so nicht mehr nachfragt.
Auch in München?
Ja, sogar in den Eins-a-Lagen. Wir (die Marstaller AG, Anm. der Red.) suchen aktuell selbst. Und es gibt Angebote in München, bei denen man ausgehend von den jetzigen Preisen deutlich nach unten geht.
Die Digitalisierung macht in vielen Branchen Mitarbeiter überflüssig. Auch im Handel?
Wenn es so weitergeht, dann werden wir von unseren drei Millionen Mitarbeitern in Deutschland – 300 000 in Bayern – in den nächsten zehn Jahren rund 15 bis 20 Prozent der Arbeitsplätze verlieren, weil wir sie nicht mehr brauchen. Das muss man so klar sehen.
Was wünscht sich der Handel von der Politik?
Einen günstigen ÖPNV mit einem 365-Euro-Ticket für ganz Bayern. Der ÖPNV ist ja nur von 7 bis 9 Uhr und 16 bis 19 Uhr überfüllt. Wenn ich ab 9 Uhr für einen Euro in meine Kreisstadt fahren kann, warum soll ich das nicht tun? Uns Einzelhändler würde das stärken. Wichtig wäre auch, dass die Spreizung zwischen Reich und Arm nicht noch weiter auseinandergeht. Kleine Einkommen sollten von der Lohnsteuer befreit werden und weniger Sozialabgaben haben.
Interview: Wolfgang de Ponte und Corinna Maier