München – Plastik vermüllt Umwelt und Meere. Über 140 Millionen Tonnen des allenfalls über Jahrhunderte hinweg abbaubaren Kunststoffs treiben in fünf gigantischen Strudeln auf den Ozeanen. Im Frühjahr strandete an der thailändischen Küste ein Grindwal, in seinem Magen wurden 80 Plastiktüten gefunden. Meeresgetier, wie auch Menschen, nehmen Nanoteilchen auf, die Folgen für den Organismus sind unbekannt. Während auf anderen Kontinenten trotz alledem hemmungslos weiter Teller, Becher und Besteck aus Plastik verwendet und dann auf Müllkippen entsorgt werden, ging das EU-Parlament in diesem Frühjahr mit einer Plastik-Richtlinie in die Offensive. Nun sind die Mitgliedsstaaten am Zug: Sie müssen das Normenwerk in nationale Gesetze gießen.
Die Vorschriften der EU
Bestimmte Einwegartikel dürfen ab 2021 EU-weit nicht mehr verkauft werden. Dazu gehören unter anderem Einwegteller, -besteck, Trinkhalme, Kaffeebecher aus Styropor, Watte- oder Rührstäbchen. Jedes Jahr fallen in den Ländern der Europäischen Union Millionen Tonnen Plastikmüll an, die Bundesrepublik zählt zu den Spitzenreitern (siehe Grafik).
Deutschland trennt
Bundesbürger werden seit Jahrzehnten zum Recyceln angehalten, und sie haben laut Statistischem Bundesamt beim Haushaltsmüll eine Quote von 67 Prozent erreicht. Klingt vorbildlich, doch die Deutsche Gesellschaft für Abfallwirtschaft dämpft die Euphorie: Die tatsächliche Wiederverwertung liege bei 38 bis 40 Prozent. Der Rest werde verfeuert. Bei Kunststoffen ist die Quote am schwersten zu erreichen, manchmal sind es nur 20 Prozent, manchmal mehr.
Neues Gesetz
Vor wenigen Tagen hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Kabinett einen Gesetzentwurf durchgebracht, demzufolge an den Ladenkassen Einweg-Tragetaschen aus Kunststoff verboten werden sollen. Es geht um die typischen Tüten zwischen 15 und 49 Mikrometer, die man im Supermarkt oder anderen Geschäften beim Bezahlen bekommt und die in aller Regel etwas kosten. Die freiwillige Selbstverpflichtung des Handels seit 2016, die Plastiktaschen an der Ladenkasse nicht umsonst rauszugeben, hat den Pro-Kopf-Verbrauch von insgesamt 68 Stück im Jahr 2015 auf 20 im vergangenen Jahr gesenkt. Nicht vom Verbot der Regierung betroffen sind Müllbeutel, die dünnen Säckchen für Obst oder Gemüse und stabilere Tragetaschen.
Alternative Bioplastik?
Bio klingt verheißungsvoll und umweltfreundlich: Es handelt sich um Verpackung aus nachwachsenden Rohstoffen. Von den 320 Millionen Tonnen Plastik, die weltweit jährlich produziert werden, sind nur 0,84 Prozent nicht aus den fossilen Rohstoffe Erdöl und Erdgas gefertigt (PE = Polyethylen, PP = Polypropylen, PET = Polyethylenterephthalat), sondern aus Biopolymeren gefertigt. Bei Biokunststoffen unterscheidet man drei Kategorien. Voraussetzung ist unter anderem, dass sich das Material nach zwölf Wochen zu 90 Prozent zersetzt haben muss, und zwar in Teile, die kleiner als zwei Millimeter sind.
Prädikat kompostierbar
Die Bezeichnung kompostierbar für die beste Bioplastik-Kategorie führt nach Ansicht des Bundesumweltamtes in die Irre, denn es ist noch nicht erforscht, was das Restprodukt nach dem Abbau ist: Zerfällt es komplett oder wird es zu Mikroplastik, das in den Mägen zuerst der Fische und dann der Menschen landet? Deshalb sollen auch bio-basierte und bio-abbaubare Tragetaschen verboten werden. Die seien eine „wirkliche Mogelpackung“ und mehr Plastik als bio, sagte Schulze. Sie ließen sich oft nicht recyceln, und der Anbau von Pflanzen für die Kunststoffproduktion sei häufig mit Pestizid-Einsatz und Monokulturen verbunden. Im Übrigen wären für einen „Bio“-Ersatz für die über zehn Millionen Tonnen Kunststoffe, die Deutschland im Jahr verbraucht, gigantische Anbauflächen nötig.
Gemüsebeutel bleiben
Die Ausnahme für die dünnen Tüten am Obst- und Gemüsestand hat laut der Ministerin Umweltschutzgründe: „Wenn wir das verbieten würden, dann würden wir viel mehr Verpackungen bekommen.“ Dann würden etwa Äpfel und Birnen wieder stärker in Plastik angeboten. Überhaupt sei das Tüten-Verbot nur ein Baustein im Kampf gegen Plastikmüll.
Lösungen für Krise
Einfache Wege aus der Kunststoffschwemme gibt es nicht. Da gibt es die Zero-Waste-Bewegung, deren Anhänger mit Stoffbeuteln und Glasflaschen in Läden gehen, in denen alles offen verkauft wird.
Die Wiederverwendung von Plastik ist eine andere Möglichkeit. Der Chemiker und Verfahrenstechniker Michael Braungart, Professor in Lüneburg, denkt weniger ans Vermeiden von Verpackungen als vielmehr die Erfindung öko-effektiver Produkte. Seit über 30 Jahren hilft er Unternehmen dabei, Produkte so herzustellen, dass sie ohne giftige Inhaltsstoffe und Abfälle entstehen und an ihrem Ende wieder als Nährstoffe in die Natur zurückkehren können. Sein System heißt Cradle-to-Cradle (Wiege zu Wiege), mittlerweile sind schon 11 000 Produkte entstanden. Sein Vorschlag: „Wenn wir schon Plastik einsetzen, müssen wir sicherstellen, dass es wieder genutzt wird.“ Man könne beispielsweise alle Verpackungen aus drei Kunststoffen machen, und zwar aus reinen Kunststoffen. „Nylon zum Beispiel ist ein Plastik, das sich sehr gut in die ursprünglichen chemischen Substanzen zurückverwandeln lässt und dann erneut polymerisiert werden kann.“