München – Wer ein Spiel, nehmen wir an Poker, gewinnen will, sollte wissen, wie seine Gegner ticken. Wer das beherrscht, kann auch bei einem Glücksspiel Fortuna ein Schnippchen schlagen. Spieltheorie ist mittlerweile ein wichtiger, mehrfach nobelpreisgekrönter Bereich der Wirtschaftswissenschaften. „Man muss wissen, was für ein Spiel gespielt wird“, sagt Sebastian Moritz, Managing Partner bei tws Partner. Die einstige Ausgründung der Universität München ist eine Beratungsfirma, bei der andere Unternehmen das professionelle Spielen lernen.
Doch Spieltheorie lässt sich auch anders einsetzen. Sebastian Moritz hat sichtbar Freude daran, zu analysieren, wie sich politische Akteure der internationalen Politik in Stellung bringen.
Am Ende liefert diese Herangehensweise erstaunlich schlüssige Erklärungen dafür, warum Hasardeure wie Boris Johnson oder Donald Trump ihre Spiele so häufig gewinnen.
Das Beispiel Brexit: Da hat zunächst die EU besser und weit erfolgreicher gespielt – erst gegen die britische Ex-Premierministerin Theresa May. Die spielbestimmenden Akteure wie Angela Merke, oder Emmanuel Macron hielten sich raus. Sie schickten jemanden aus der zweiten Reihe an die Front. Das Verhandlungsmandat von Brexit-Kommissar Michel Barnier war gleich null. Ein klares Signal: Es gibt keine Zugeständnisse. „Selfcommite–ment“, Selbstbindung nennen das Spieltheoretiker wie Sebastian Moritz.
Er nennt als Beispiel den spanischen Eroberer Hernan Cortez, der nach der Landung in Mittelamerika seine Flotte verbrennen ließ. Signal an die Azteken: Es gibt nur noch Erfolg oder Untergang. Die bevorzugte Wahl der Überfallenen, die Eindringlinge in unbekanntem Terrain in die Flucht zu schlagen, war aus dem Spiel. Um den Kampf zu vermeiden, wurde verhandelt. Cortez hatte mehr, als er erwarten konnte. Die Azteken mussten von zwei verbleibenden Übeln das kleinere schlucken und Zugeständnisse anbieten. Cortez hatte das Spiel gewonnen.
Auch Barnier gewann. May musste das nehmen, was die EU ohnehin angeboten hatte, samt Backstopp, der die Briten noch Jahrzehnte an die EU binden würde. Das flog der Premierministerin im Unterhaus um die Ohren, May blieb nur die Abdankung.
Nun kam Boris Johnson in Spiel und mit ihm völlig neu gemischte Karten. Johnsons Botschaft: Besser gar kein Deal als der von Theresa May. Seine No-Deal-Brexit-Strategie war erfolgreich, weil er glaubwürdig vermittelte, dass er das Risiko eines chaotischen Brexit nicht scheuen würde. Die EU aber schon – wegen der massiven Schäden für ihre Wirtschaft, die sie befürchten musste. Der Plan B von Johnson zwang die EU zu Zugeständnissen, die sie vorher um keinen Preis machen wollte: Sie schnürte den Backstopp entgegen aller Beteuerungen auf. Johnson hatte das Spiel gedreht.
Glaubwürdigkeit ist das Schlüsselwort. Als Beispiel nennt Sebastian Moritz den US-Präsidenten Donald Trump. Der sieht, so sagt Moritz, „keinen Vorteil im freien Welthandel“, Damit vermittle er glaubwürdig, dass er Handelskriege nicht scheut. Und so zwingt er Partner reihenweise an den Verhandlungstisch und zu Zugeständnissen, die aus einer anderen Situation heraus keiner gemacht hätte.
Trump setzt in der Politik fort, was er vorher als Unternehmer erfolgreich getan hat: Er spielt Bewerber, beispielsweise um einen Auftrag, gegeneinander aus, um mehr für sich zu erreichen.
Aber weiß Trump, was er tut? Moritz zögert auf diese Frage, überlegt einige Sekunden: „Trump weiß wahrscheinlich, was er tut. Aber er kann den theoretischen Hintergrund nicht erklären.“ Trump, aber auch Johnson agieren wie Jongleure, die die Gesetze der Physik perfekt nutzen, obwohl sie noch nie einen Gedanken daran verschwendet haben.
Beide lassen ihren Gegnern nur eine Wahl. Das kleinere Übel oder das ganz große. Bisher nahmen alle das kleinere.
Aber was ist, wenn Johnson und Trump, die beiden erfolgreichsten Spielpraktiker der gegenwärtigen Politik, aufeinandertreffen, beispielsweise, um ein Handelsabkommen zwischen den USA und dem Nach-Brexit-Britannien auszuhandeln? Wer gewinnt dann? Auf diese Frage zögert Moritz keine Sekunde: „Aus meiner Sicht Trump.“
Der Spieltheoretiker macht keinen Hehl daraus, dass er das Ergebnis der Politik Trumps und Johnsons und anderer Spieler wie Recep Erdogan, Kim Yong Unoder Wladimir Putin nicht gut findet. „2019 war für die Welt vielleicht kein gutes Jahr“, sagt er. „Für die Spieltheorie schon.“