Der Siemens-Chef im Kohle-Dilemma

von Redaktion

Die geplante Lieferung von Signaltechnik an eine australische Kohlemine wird zum Problem für Joe Kaeser

München – Der Technologieriese Siemens nimmt für sich in Anspruch, mit seiner Umwelttechnik einer der größten Treiber einer weltweiten Energiewende zu sein. Im scharfen Gegensatz dazu steht der Protest, der sich seit einigen Wochen gegen die Münchner zusammenbraut und der diesen Freitag bundesweit sichtbar wird.

Dann will die Klima-Bewegung Fridays for Future in über 30 Städten – von Greifswald bis Bad Tölz, Hannover und Stuttgart – unter dem Motto „Siemens schür keine Feuer“ gegen die Lieferung von Siemens-Technik für eine riesige Kohlemine in Australien demonstrieren. An der Münchner Firmenzentrale ist auch eine 24-stündige Mahnwache geplant.

Siemens will in Australien für die Kohlemine Carmichael die Signaltechnik für Züge liefern, damit der Rohstoff per Eisenbahn abtransportiert werden kann. Die australische Regierung hatte die Mine 2019 trotz Protesten genehmigt. Der Siemens-Auftrag hat dem Vernehmen nach einen Wert von 20 Millionen Euro – was bei jährlich 87 Milliarden Euro Umsatz für den Münchner Konzern eine sehr überschaubare Größenordnung ist.

Dagegen steht die schiere Monstrosität der Mine selbst, die der indische Adani-Konzern bauen will, um mit der abgebauten Kohle Kraftwerke in Indien zu befeuern. Mit einem jährlichen Abbauvolumen von bis zu 60 Millionen Tonnen wäre es eine der größten ihrer Art weltweit. Von 2022 bis 2080 soll gefördert werden. Australier protestieren seit Jahren gegen das Projekt, in dessen Rahmen an der australischen Ostküste auch der weltgrößte Kohle-Hafen gebaut werden soll. Siemens-Technik soll die Kohlezüge dorthin lenken.

Deshalb hat Siemens-Chef Joe Kaeser nun Post erhalten: „Während Sie in Deutschland versprechen, Verantwortung für unser Klima zu übernehmen und bis 2030 klimaneutral werden zu wollen, unterstützen Sie in Australien ein rückwärtsgewandtes Vorhaben“, heißt es in einem Protestbrief von Fridays for Future. Weil Verbrennung von Kohle eine Hauptursache für die Erhitzung der Erde sei, solle Siemens den Auftrag stornieren. Firmen, die zum Bau der Mine beitragen, hätten eine Mitverantwortung.

Kaeser ist die Macht, die Fridays for Future mittlerweile entfaltet, durchaus bewusst. Vorigen Dezember hatte er deshalb per Twitter versichert, die Vorwürfe ernst zu nehmen und sie zu prüfen. „Sie verdienen eine Antwort“, versprach der Siemens-Chef. Die Entscheidung zum Signaltechnik-Auftrag könne revidiert werden – oder auch nicht. Bislang ist sie nicht gefallen. Insgesamt ist Adani kein unbedeutender Siemens-Kunde.

Wie sich Siemens letztlich entscheidet, könnte Kaeser am Freitag persönlich Luisa Neubauer mitteilen. Für diesen Tag hat Kaeser die 23-jährige Hamburgerin, die in Deutschland das Gesicht von Fridays for Future geworden ist, zu einem Vier-Augen-Gespräch eingeladen.

Siemens bekämpfe mit der eigenen Technik den Klimawandel, beharren die Münchner. 2018 habe sie bei Abnehmern dazu geführt, die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) um gut 600 Millionen Tonnen zu reduzieren. Noch könnten fossile Brennstoffe nicht komplett durch erneuerbare Energien ersetzt werden, argumentiert Siemens. Klimaschutz sei deshalb auch, die Effizienz von Kohlekraftwerken zu steigern, was Siemens derzeit in Indien praktiziere.

Deutlich konsequenter sind deutsche Finanzriesen: So haben sich Deutsche Bank und Commerzbank ausdrücklich einer Finanzierung des Minenprojekts in Australien verweigert. Ähnlich verhalten sich die Allianz, die Munich Re und die Hannover Re. Sie haben sich dazu bekannt, keine Kohleminen zu versichern und auch als Anleger nicht mehr in Kohle zu investieren. Australische Minengegner listen auf ihrer Internetseite insgesamt 60 Konzerne weltweit auf, die eine Beteiligung am Projekt ausgeschlossen haben. Siemens fehlt auf dieser Liste. THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

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