München – Siemens hält trotz massiver Proteste an Technologiezulieferungen für eine riesige Kohlemine in Australien fest. Man hätte den Auftrag für eine Zugsignalanlage im Vorfeld weiser beurteilen sollen, erklärte Konzernchef Joe Kaeser per Twitter selbstkritisch. Siemens habe nun aber entschieden, gegenüber dem indischen Adani-Konzern, der die Mine bauen will, vertragstreu zu bleiben und die Signalanlage zu liefern, die Kohlezüge in den künftig weltgrößten Kohleexporthafen an der australischen Ostküste lotsen soll.
„Versprechen zu halten, hat für Siemens höchste Priorität“, erklärte Kaeser. An andere Versprechen, nämlich das Weltklima durch Siemens-Technik zu retten, erinnern ihn dagegen Klima-Aktivisten. Sie nehmen Siemens verstärkt aufs Korn. „Joe Kaeser macht einen unentschuldbaren Fehler“, kritisierte Luisa Neubauer. Die 23-Jährige ist deutsches Gesicht der globalen Klimaprotestorganisation Fridays for Future. Die hat nicht nur am Montag spontan in einem Dutzend deutschen Städten gegen die Siemens-Entscheidung protestiert.
Würde Siemens die Klimakrise wirklich ernst nehmen, hätte sich Kaeser beim Auftrag für die Kohlemine anders entschieden, meinte ein Sprecher von Fridays for Future. Auch australische Umweltgruppen protestierten heftig. Der Entscheid, Technologie für die Kohlemine zu liefern, sei „nichts weniger als schändlich“, erklärte die Australian Conservation Foundation. Sie ruiniere das Klimaimage von Siemens. Nun schlage der Konzern Profit aus dem „Katastrophenvorhaben“ im australischen Bundesstaat Queensland, kritisiert Neubauer.
Sie meint damit den Signaltechnik-Auftrag über 18 Millionen Euro, den Siemens Mitte Dezember 2019 unterzeichnet hat. Die Siemens-Technik soll dafür sorgen, dass ab 2021 jährlich bis zu 60 Millionen Tonnen Kohle per Zug über 200 Kilometer hinweg zu einem riesigen Verladehafen nahe des weltgrößten Korallenriffs Great Barrier Reef transportiert werden. Dort befördern sie Schiffe weiter zur Verfeuerung in indischen Kohlekraftwerken. Das würde jährlich fast 80 Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid in die Atmosphäre pusten. Die Mine, die 60 Jahre lang fördern soll, wäre die größte ihrer Art in Australien und eine der größten weltweit.
Neben den Beteuerungen, klimafreundliche Technik zu entwickeln und zu verkaufen, wirbt Siemens damit, bis 2030 klimaneutral zu wirtschaften. Auch Greta Thunberg als Gründerin von Fridays for Future hatte Kaeser vergeblich dazu aufgerufen, Adani nicht zu beliefern. Siemens hat anders entschieden. „Das ist unglaublich schwach, Versprechen gegenüber Kunden sind dem Unternehmen wichtiger als Umweltschutz“, meint nun auch Regine Richter. Sie ist Energieexpertin der Umweltorganisation Urgewald.
Es habe keinen rechtlich und wirtschaftlich verantwortungsvollen Weg gegeben, den Auftrag zu stornieren, verteidigt sich Kaeser. Siemens hätte bei einer Rücknahme in der Höhe ungenannte Vertragsstrafen zahlen müssen. Zudem hätte eine Stornierung seitens Siemens das Projekt nicht gestoppt, weil dann Konkurrenten Signaltechnik liefern würden. Das ist umstritten. So hätten Alstom und Hitachi Rail eine Zusammenarbeit mit Adani abgelehnt, behauptet Urgewald unter Berufung auf australische Umweltgruppen. Siemens könnte mittlerweile einziger Anbieter für die Kohletransportlinie sein. Eine Absage seitens Siemens hätte das Projekt zumindest deutlich verzögert.
Kaeser zieht sich indessen auch auf rechtliche Positionen zurück. Die Mine sei von der australischen Regierung und dortigen Gerichten genehmigt. Auch indigene Völker Australiens stünden dahinter. Dem widersprach die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). „Da scheint Herr Kaeser schlecht informiert worden zu sein“, sagte GfbV-Referentin Yvonne Bangert. Die betroffenen Stämme, Wangan und Jagalingou, hätten sich „bis zur finanziellen Erschöpfung gegen diese Kohlemine gewehrt“.
Klima-Aktivisten: Entscheidung schadet dem Image
Siemens: Bei einem Ausstieg hätten andere geliefert