München – Siemens baut die Signaltechnik für Kohlezüge in Australien, und Klimaaktivisten laufen seit Wochen Sturm gegen das Projekt. Gestern kam es auf der Hauptversammlung des Konzerns in der Münchner Olympiahalle zum finalen Schlagabtausch: „Herr Kaeser, Sie sollten sich schämen, dass Sie diesen Vertrag unterschrieben haben, während Australien brennt“, schmetterte die 17-jährige Varsha Yajman aus Australien Siemens-Chef Joe Kaeser entgegen. Sie forderte die sofortige Kündigung des Vertrags.
Kaeser: „Würde heute anders entscheiden“
Und Joe Kaeser? Der hatte bereits vor der Hauptversammlung kräftig gegen die Klimaaktivisten ausgeteilt: Es mute „schon fast grotesk an, dass wir durch eine Signaltechnikanlage in Australien zur Zielscheibe zahlreicher Umweltaktivisten geworden sind“, beklagte der Siemens-Chef. Bezogen auf den Kohle-Auftrag räumte er aber ein: „Wären wir noch einmal in einer Situation, in der wir frei entscheiden könnten, fiele sie sicherlich anders aus.“ An der Lieferung der Signaltechnik nach Australien will er aber festhalten, bekräftigte er.
Punktsieg für die Klimabewegung
Auch wenn sie ihr Maximalziel verfehlt haben, können die Klimaschützer einen Punktsieg verbuchen. Ihnen ist es gelungen, dass Vertragsabschlüsse bei Siemens künftig einer verschärften Überprüfung standhalten müssen. Bezogen auf den Australien-Auftrag sagte Kaeser: In Zukunft wird Siemens besser darauf vorbereitet sein, wie sich direkte oder indirekte Projektbeteiligungen auf die Umwelt auswirkten.
Das ist die neue Siemens-Strategie
In der Klimadiskussion ging fast unter, dass sich Siemens mitten im Umbau befindet: Kaeser sprach von der „größten Transformation in der 172-jährigen Geschichte“ des Konzerns. Kaesers Plan sieht vor, Siemens in rechtlich eigenständige Unternehmen aufzuspalten. Die erste Etappe war im Jahr 2018 der Börsengang der Medizintechnik–sparte Siemens Healthineers, zweiter Schritt wäre die Fusion der Zugsparte mit dem französischen Konkurrenten Alstom gewesen – sie scheiterte jedoch am Veto der EU-Kommission.
Der Umbau geht dennoch weiter: Noch in diesem Jahr soll das börsennotierte Unternehmen Siemens Energy entstehen. Die verbliebene Siemens AG soll auf die Geschäftsfelder Digitales, Infrastruktur und Mobilität zurechtgestutzt werden. Ziel sei es, die Kosten zu senken und Siemens schlanker aufzustellen. „Den einen Vorstandsvorsitzenden wird es damit nicht mehr geben“, sagte Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe. „An der Spitze der drei Unternehmen steht künftig je ein Vorstandsvorsitzender.“
Der Börsengang von Siemens Energy
Bei der Ausgliederung von Siemens Energy macht Kaeser Tempo: Bis Ende März soll die rechtliche Abtrennung abgeschlossen sein, am 9. Juli sollen die Aktionäre in einer außerordentlichen Hauptversammlung über die Ausgliederung abstimmen, für Ende September ist der Börsengang geplant. Siemens-Aktionäre sollen eine noch unbekannte Zahl an Siemens-Energy-Aktien erhalten, die verbliebene Siemens AG will Ankeraktionär bei Siemens Energy bleiben. Wo sich der Firmensitz befinden soll, ist unklar.
Das sagen die Aktionäre
Die Aktionärsvertreter der großen Fonds und Vereinigungen sicherten Kaeser die Unterstützung bei seinen Umbauplänen zu, äußerten aber auch Kritik: „Es stellt sich schon die Frage, welchen Sinn die Aufspaltung für den einzelnen Aktionär hat“, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. „Eigentlich hätte der Kurs doch explodieren müssen“, sagte sie. Sie lobte Kaeser aber dafür, dass die Dividende um zehn Cent auf 3,90 Euro je Aktie angehoben wird. Und dann ging es doch wieder um das australische Kohle-Geschäft: Bergdolt sprach von einem „unnötigen Reputationsschaden für Siemens“ und bemängelte fehlende Kontrollmechanismen. Vera Diehl von Union Investment nannte Kaesers Vorgehen ein „kommunikatives Desaster“, der Vertrag hätte niemals unterzeichnet werden dürfen.
Verhaltener Start ins neue Geschäftsjahr
Noch vor der gestrigen Hauptversammlung hatte Siemens die Ergebnisse des ersten Quartals (Oktober bis Dezember) präsentiert: Demnach brach der Gewinn nach Steuern verglichen mit dem Vorjahresquartal um drei Prozent auf 1,1 Milliarden Euro ein. Der Umsatz stieg von ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro. Kaeser sprach von einem „verhaltenen Start“. Unzufrieden zeigte sich Kaeser mit der Medizintechnik-Tochter Siemens Healthineers und der Windkraftsparte Siemens Gamesa. Siemens wird jetzt alle bisher vom spanischen Stromkonzern Iberdrola gehaltenen Anteile an Siemens Gamesa übernehmen. Das sind 8,1 Prozent. „Damit erhöhen wir den Anteil auf rund 67 Prozent“, sagte Kaeser. Kaufpreis: 1,1 Milliarden Euro – eine Investition in Erneuerbare Energie. Alle Anteile sollen später an Siemens Energy gehen.
Neuer Vorstandschef gesucht
Unklar blieb gestern, wer neuer Vorstandschef bei Siemens wird. Kaesers Vertrag läuft bis Anfang 2021. Aufsichtsratschef Snabe sagte, im Sommer solle die Entscheidung fallen. Als Favorit gilt Kaesers Vize Roland Busch.