Virus und Ölpreise lösen Crash aus

von Redaktion

Die Aktienmärkte weltweit sind gestern eingebrochen. Der Dax erlitt den schwärzesten Tag seiner mehr als 30-jährigen Geschichte. Der Index büßte zwischenzeitlich fast 1000 Punkte ein und schloss 7,94 Prozent tiefer bei 10 625 Punkten. Der Handel an der Wall Street wurde wegen Kursstürzen zeitweise unterbrochen.

VON ROLF OBERTREIS, FINN MAYER-KUCKUK UND MARTIN PREM

Frankfurt/New York/Tokio – Der 9. März 2020 wird als Schwarzer Montag in die Börsengeschichte eingehen. Der Ausverkauf hatte mehrere Gründe: Zur Weiterverbreitung des neuen Coronavirus kam ein Streit unter den Ölländern. „Der Kollaps der Ölpreise wirkte zuerst auf die asiatischen Werte“, so Marktanalyst Jeffrey Halley von der Handelsplattform Oanda. Im Verlauf des Tages verstetigte sich der Crash zum selbstverstärkenden Trend. Reihenweise purzelten die Dominosteine: Los ging es in Fernost. In Tokio waren es fünf, in Singapur knapp sechs und Hongkong gut vier Prozent. Noch drastischer startete Australien (minus 7,4 Prozent). Der Schwarze Montag war damit nicht mehr aufzuhalten.

Ölpreise

Der wichtigste Auslöser der Panik an den weltweiten Märkten war der mit 30 Prozent größte Verfall beim Ölpreis seit 1981. Russland und Saudi-Arabien haben sich nicht über eine Drosselung der Fördermenge einigen können. Das ist der offizielle Grund. Doch tatsächlich ist – obwohl bei den Auseinandersetzungen unmittelbar nicht dabei – ein Dritter im Spiel: die USA. Fracking hat sie zu einem Exportland für fossile Energieträger gemacht. Doch das klappt nur, wenn die Preise hoch sind. Fracking ist die teuerste Form der Förderung. Sinken die Marktpreise, lohnen sich die teuren Investitionen nicht mehr. Russland sperrte sich gegen Förderkürzungen wohl auch, um die USA wieder ein Stück weit aus dem Spiel zu drängen.

Doch am noch längeren Hebel sitzen die Saudis, bei denen das Öl einfach aus dem Wüstenboden rinnt. Mit drastisch gesenkten Preisen setzen die Araber jetzt auch die Russen unter Druck. Diese können den Kampf nicht beliebig lang durchhalten. Doch vorerst ist die stark gesunkene Nachfrage der preisbestimmende Faktor.

Für die Deutsche Konjunktur ist das zumindest schmerzlindernd. „Der jüngste Ölpreiskollaps senkt die deutsche Ölrechnung um einen Betrag, der 0,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht“, so Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Viel Hoffnung macht er allerdings nicht: Das „dürfte nicht verhindern, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland und im Euroraum sowohl im ersten und zweiten Quartal schrumpfen wird“.

Aktienmärkte

Was in Asien begann, setzte sich in Europa und später auch in den USA fort: Oliver Roth, Börsenchef des Bankhauses Oddo Seydler und einer der erfahrensten Händler an der Frankfurter Börse, hat Tage wie gestern selten erlebt. Zum Börsenauftakt geht es im Deutschen Aktienindex Dax um mehr als sieben Prozent und mehr als 900 Punkte im Vergleich zum Freitag auf 10 572 Punkte nach unten – auf den tiefsten Stand seit Ende 2018. Das Minus schwankt im Tagesverlauf zwischen weniger als sechs und mehr als acht Prozent. Am Nachmittag verstärkt sich das Minus nach dem Handelsbeginn an der Wall Street in New York. Dort rutschte der Dow Jones zunächst um über sieben Prozent auf zeitweise weniger als 23 000 Punkte ab, sodass der Handel kurzzeitig unterbrochen wird. Danach verringern sich die Verluste etwas.

Auslöser für den Einbruch an den Weltbörsen war die Sorge vor einer weltweiten Rezession durch die Folgen der Coronavirus-Epidemie. Verstärkt wurde die Entwicklung durch den Ölkrieg zwischen Russland und Saudi-Arabien.

Besonders hart traf es in Frankfurt die Aktie der Deutschen Bank. Sie verlor zeitweise rund 15 Prozent und stürzte auf ein neues Rekordtief von 5,70 Euro. Damit hat sich der Kurs in den vergangenen beiden Wochen nahezu halbiert. Grund: Anleger befürchten offensichtlich zunehmende Kreditausfälle. Zweistellig nach unten ging es auch mit Daimler. Rund neun Prozent waren es bei Volkswagen, BASF und Bayer.

Verstärkt wird die Talfahrt an solchen Tagen durch computergesteuerte Verkaufsprogramme von Großanlegern. Werden bestimmte Indexschwellen nach unten durchbrochen, werden Aktien automatisch verkauft.

Nicht wenige Händler schütteln allerdings den Kopf. „Alles was gerade passiert, ist völlig übertrieben, in der Politik, aber auch am Finanzmarkt“, sagt Oliver Roth. „Nicht das Coronavirus ist entscheidend, sondern die Reaktionen darauf.“

Sind nun schon Kaufkurse erreicht? Oder sollten mutige Anleger noch abwarten, bevor sie zugreifen? Die Antworten fallen unterschiedlich aus: „Gegenwärtig bestimmt die blanke Angst die Entwicklung an den Märkten. Die Kurse könnten daher weiter fallen“, warnt Esty Dwek von Natixis Investment. Für mittel- bis langfristig orientierte Anleger gäbe es jetzt wieder Gelegenheit zum Aktienkauf, sagt dagegen Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen Thüringen. Ähnlich sieht es Bernd Meyer, Chefstratege der Berenberg Bank. Stefan Scheurer von Allianz Global Investors erkennt Entspannungssignale in China, die sich in „ein paar“ Wochen auch hierzulande zeigen dürften.

Gold und Anleihen

All das seien Anzeichen für eine Rezession, betont Roth. Dies zeigte sich auch in der Rendite für die zehnjährige Bundesanleihe, die auf ein Rekordtief von 0,84 Prozent abrutschte. Und auch die bereits andauernde Flucht von Anlegern in Gold hielt an. Der Preis der Feinunze des Edelmetalls stieg erstmals seit sieben Jahre auf mehr als 1700 Dollar.

Zinsen und Geldpolitik

Man sei bereit, „angemessene und zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen“, hat Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) im Blick auf die Corona-Epidemie schon vor einer Woche gesagt. Spätestens diesen Donnerstag auf der nächsten Ratssitzung dürfte die Notenbank reagieren. Wie, ist offen. Sie könnte das Volumen der monatlichen Anleihekäufe von 20 auf 40 Milliarden Euro erhöhen und den Einlagezins auf minus 0,6 Prozent drücken in Verbindung mit höheren gestaffelten Freibeträgen. Viele Volkswirte befürworten diese Schritte. Eine Option wären auch günstige Kreditspritzen für die Banken.

Inflation

Auch das verfehlte Inflationsziel der EZB von zwei Prozent lässt eine weiterhin lockere Geldpolitik erwarten. Der Verfall des Ölpreises werde nicht nur die Konjunktur, sondern auch die Inflation beeinflussen, schreibt Commerzbank Ökonom Krämer. Bleibe der Ölpreis bei gut 30 Dollar, könnte die Inflation im Euroraum im Mai auf die psychologisch wichtige Marke von null Prozent fallen. Auf die Kerninflation (Teuerung ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel) wirken sich Ölpreisrückgänge hingegen nur langsam aus.

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