An den Aktienmärkten geht es derzeit wild auf und ab. Nach rasanten Kursstürzen ist der Deutsche Aktienindex (Dax) wieder auf Erholungskurs. Doch trauen kann man dem Frieden in Corona-Zeiten nicht. Fast jede Nachricht kann für Börsianer momentan zur schlechten Nachricht werden. Wir sprachen über die Lage an der Börse und die Möglichkeiten der Kleinanleger mit Ulrich Kater. Er ist seit 2004 Chef-Volkswirt des Sparkassen-Dienstleisters DekaBank. Der promovierte Volkswirt gilt als einer der profundesten Kenner der Finanzmärkte und arbeitete vor seinem Wechsel zur DekaBank unter anderem im Stab der Wirtschaftsweisen.
Wie schätzen Sie die Einbrüche der Aktienmärkte in den vergangenen Wochen ein?
Aus einem weltweiten Aufschwung wurde innerhalb von wenigen Tagen eine Blitzrezession. Kein Ereignis in der modernen Wirtschaftsgeschichte hat zu Friedenszeiten den Konjunkturausblick für die Weltwirtschaft in so kurzer Zeit komplett gedreht. An den Aktienmärkten kam es zu Kursverlusten von 30 Prozent und mehr. Damit ist eine tiefe Weltrezession eingepreist, eine jahrelange Depression jedoch nicht.
Wurde die Gefahr des Virus für die Wirtschaft komplett unterschätzt?
Bis auf eine kurze Irritation Ende Januar nahm die Börse keine Notiz von der neuen Krankheit. Das Coronavirus schien in China noch weit weg zu sein. Mittlerweile haben mehr als 180 Länder Corona-Fälle gemeldet. Damit war auch die Unbesorgtheit an den Börsen dahin. Während bis dahin nur die Einschränkungen bei den weltweiten Produktionsketten eingerechnet waren, kam jetzt die Aussicht auf wirtschaftliche Beschränkungen bis hin zur Schließung kompletter Sektoren auch auf die Europäische Union und auf die USA zu. Bisher sind Pandemien nur etwa alle 60 Jahre aufgetreten. Sich darauf einzustellen ist extrem schwierig, es werden aber sicher Lehren für die Zukunft gezogen werden.
Sollen Anleger nun Aktien verkaufen?
Die Rezession ist nun überall angekommen, insbesondere in den Kursen. Private Aktienanleger haben jedoch selbst unter diesen Umständen keinen Anlass, ihre Anlagestrategie zu ändern, da sie einen langfristigen Anlagehorizont von vielen Jahren haben. Daher lautet die richtige Strategie für Privatanleger, auch größere Kursrückgänge auszusitzen. Erst mit einem Verkauf werden die Verluste überhaupt real im Vermögen.
Was lehren die Erfahrungen an der Börse?
Kursrücksetzer gehören zur Börsenwelt wie die Anzeigetafel im Börsenraum – aber eben auch die folgende Erholung. Die historische Erfahrung spricht eindeutig dafür, dass sie über die Zeit wieder ausgeglichen werden. Und der sprichwörtlich teuerste Satz an der Börse lautet, dass es diesmal anders sein wird.
Oder die niedrigen Kurse nutzen, um günstig einzukaufen?
Wieder mit dem Blick auf die lange Historie sind starke Kursrückgänge unter langfristigen Gesichtspunkten eine gute Gelegenheit für den Einstieg. Den vermeintlich „richtigen“ Zeitpunkt zu erkennen, ist so etwas wie der heilige Gral an den Aktienmärkten: Es findet ihn niemand. Anleger sollten daher geplant vorgehen und Stück für Stück in kleinen Portionen Wertpapiere kaufen. So werden Einstandskurse noch geringer, sollte es an der Börse noch einmal runtergehen.
Wie ist es um die Altersvorsorge bestellt, müssen Sparer sich nun um die Vorsorge fürchten?
Im Moment der Krise sehen die Dinge oft betrüblich aus. Aber die Aktienanlage ist ja gerade durch das Motiv der Altersvorsorge eine sehr langfristige Anlage. Auch nach der Corona-Krise wird die Weltwirtschaft wieder auf ihren Wachstumspfad zurückfinden. Die Märkte werden die Kursrückgänge aufholen, auch wenn dies nicht gleich innerhalb von wenigen Wochen geschieht.
Sollte die Anlagestrategie nun geändert werden, beispielsweise völlig auf Aktien zu verzichten?
Nein, denn nach wie vor gelten die Vorteile einer breit gestreuten und einer aktiven, von Fachleuten gesteuerten Wertpapieranlage: Wer jetzt eigenständig in einzelne Titel investiert ist, muss jeweils abschätzen, ob das Unternehmen die Krise überhaupt übersteht. Bei aktiv gemanagten Aktienfonds ist es die Aufgabe des Fondsmanagers abzuwägen, welche Unternehmen am besten durch die schwierigen Zeiten kommen und welche Unternehmen eher Schwächen aufweisen.
Und wie sieht es mit den Zinsen aus?
Die Zinsen bleiben verschwunden. Durch die Corona-Krise noch mehr als vorher. Die Notenbanken haben gerade das Zinsniveau noch weiter nach unten gesenkt und damit noch fester verankert. Die Verschuldung von Staaten steigt an, daher muss die Geldpolitik das Zinsniveau niedrig halten. Ein Hoffen auf die Rückkehr von Zinsen auf den Sparbüchern ist damit unrealistisch. Mit dieser Politik stellen aber die Zentralbanken noch mehr Geld bereit wie vorher schon, von dem ein Teil wieder am Aktienmarkt landet. Für den langfristigen Sparer ist das Sparbuch weiter keine Alternative. Sinnvoll sind jetzt, wie auch vor der Krise, eine Umwandlung von Sparplänen für das Sparkonto in Sparpläne für Aktien.
Interview: Rolf Obertreis