München – Lange Jahre war Jan Marsalek die rechte Hand des ehemaligen Wirecard-Chefs Markus Braun. Er war bei dem um seine Existenz bangenden Dax-Konzern zudem zuständig für das Geschäft in Asien, wo das Epizentrum aller mutmaßlichen Betrügereien liegt. Nach Brauns Rauswurf hatte er das Tagesgeschäft geführt, bis der Wirecard-Aufsichtsrat ihn am Donnerstag freistellte und am Montag fristlos entließ. Nun soll sich Marsalek auf den Philippinen aufhalten, also in jemen Land, in dem 1,9 Milliarden Euro auf bisher ungeklärte Weise verschwanden.
Marsalek will auf den Philippinen angeblich wichtige Dokumente beschaffen, die zur Aufklärung des Falls beitragen können. Das will die „Süddeutsche Zeitung“ aus dem Umfeld des österreichischen Ex-Managers erfahren haben. Gegen ihn ermittelt seit Anfang Juni die Münchner Staatsanwaltschaft. Ob gegen ihn ein Haftbefehl wie gegen Braun vorliegt, lässt die Justiz offen. Es gilt als wahrscheinlich, womit der von Wirecard gefeuerte Manager auf der Flucht wäre. Dem Bericht zufolge will sich Marsalek kommende Woche der Justiz stellen.
Marsalek ist offenbar auch im Fokus der philippinischen Behörden. Justizminister Menardo Guevarra sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Marsalek sei vom 3. bis 5. März auf den Philippinen gewesen und es gebe einige Hinweise, dass er vor Kurzem zurückgekehrt sei und sich noch immer dort aufhalte. Die Philippinen haben laut Guevarra im Zusammenhang mit der Affäre um mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro Ermittlungen eingeleitet. Die Summe sollte eigentlich auf Treuhandkonten zweier philippinischer Banken lagern. Die Konten existieren aber nicht. Dokumente, die ihre Existenz bestätigten, erwiesen sich als Fälschung.
Der in München zeitweise inhaftierte Wirecard-Ex-ChefBraun ist seit Dienstagnachmittag wieder auf freiem Fuß. Er habe fünf Millionen Euro Kaution hinterlegt und müsse sich wöchentlich bei der Polizei melden, teilten die Behörden mit. Zuvor hatte Braun seit vergangener Woche einen Großteil seines Aktienanteils an dem von ihm mit gegründeten Konzern verkauft. Braun, den Wirecard einmal zum Milliardär gemacht hat, ist trotz herber Kursverluste gemessen am verkauften und noch existierenden Anteilsbesitz immer noch Multimillionär.
Indessen hat die deutsche Finanzaufsicht Bafin ihre Strafanzeige gegen Wirecard erweitert. Anfang Juni hatte sie bei der Staatsanwaltschaft München Anzeige wegen irreführenden Aussagen in Pflichtmitteilungen erstattet. Nun zieht die Bafin auch die Bilanzen der Jahre 2016 bis 2018 in Zweifel. Es bestehe der Verdacht, dass Umsätze und Vermögensgegenstände überhöht dargestellt wurden.
Das wirtschaftliche Schicksal von Wirecard könnte sich diese Woche entscheiden. Ende Juni läuft ein Kredit eines Bankenkonsortiums über zwei Milliarden Euro aus. Wird er nicht verlängert, droht Wirecard ein existenzgefährdender Liquiditätsengpass. Nach Meldungen vom Mittwoch wollen die Banken zumindest kurzfristig Aufschub gewähren. Möglicherweise reicht das für das Überleben aber nicht mehr aus.
Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg wenden sich erste Kunden ab. Genannt werden unter anderem ein Fahrdienstleister aus Singapur und der französische Telekomkonzern Orange. Kritisch wird es für Wirecard, falls sich auch Kreditkartenanbieter abwenden. Wirecard verfügt über eine Banklizenz und gibt über Visa, Mastercard & Co eigene Karten aus. Bricht dieses Geschäft weg, kann auch eine Verlängerung der Kreditlinien nichts mehr retten.