„Ein aufwendiger und ausgeklügelter Betrug“

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

Aschheim – Der Wirtschaftskrimi um Wirecard mündet in sein schlimmstmögliches Ende. Der Vorstand habe entschieden, für die Wirecard AG beim Amtsgericht München wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, teilte der Dax-Konzern aus Aschheim im Landkreis München mit. Es ist die erste Pleite eines Dax-Konzerns überhaupt. Insolvenzanträge für Tochterfirmen seien in Prüfung.

Die Aktie des erst 2002 gegründeten Konzerns wurde nach dieser neuerlichen Hiobsbotschaft zeitweise vom Handel ausgesetzt. Danach notierte sie in einer ersten Reaktion auf die Pleite bei noch 2,50 Euro je Anteilsschein rund 80 Prozent im Minus. Vorige Woche waren es noch rund 100 Euro.

Nun wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, der die Sanierungschancen ausloten muss. Groß scheinen die nicht zu sein. Der Wirecard-Vorstand um den jüngst bestellten Interimschef James Freis hat den Insolvenzbeschluss gefasst, weil in den nächsten Tagen Bankkrediten im Umfang von insgesamt 1,3 Milliarden Euro eine Kündigung gedroht hätte. An den Banken habe es aber nicht gelegen, verrät ein Insider. Vielmehr hätte Wirecard verlängerte Kredite gar nicht in Anspruch nehmen dürfen, weil absehbar war, dass man sie mangels Geschäftsperspektiven nie hätte zurückzahlen können.

Nicht Teil des Insolvenzverfahrens ist allerdings die Wirecard Bank mit Kundeneinlagen in Milliardenhöhe. Sollte auch sie pleitegehen, springt der Einlagensicherungsfonds ein. Bei der Wirecard Bank führen sowohl Privat- als auch Firmenkunden Konten. Die Finanzaufsicht Bafin hat bereits einen Sonderbeauftragten eingesetzt.

Die Pleite des Dax-Konzerns zeichnet sich seit voriger Woche ab, als bekannt wurde, dass in der Jahresbilanz 2019 von Wirecard 1,9 Milliarden Euro fehlen. Das entspricht einem Viertel der Bilanzsumme. Treuhandkonten auf den Philippinen, die als Sicherheit für Zahlungsdienstleistungen von Wirecard hätten dienen sollen, erwiesen sich als nicht existent. Firmengründer Markus Braun ist schon Ende voriger Woche vom Posten als Vorstandschef zurückgetreten und kam Anfang dieser Woche kurzfristig in Untersuchungshaft. Nach Zahlung einer Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro ist er wieder auf freiem Fuß. Staatsanwälte ermitteln, weil Teile der jahrelang bilanzierten Umsätze frei erfunden sein könnten.

„Es gibt klare Anzeichen dafür, dass das ein aufwendiger und ausgeklügelter Betrug war, in den unterschiedlichste Parteien rund um die Welt aus verschiedenen Institutionen involviert waren, mit dem Ziel der Täuschung“, hieß es gestern in einer Stellungnahme der Deutschland-Tochter des Wirecard-Wirtschaftsprüfers EY. Solche Absprachen ließen sich selbst mit den besten und aufwendigsten Prüfmethoden nicht aufdecken.

„Das ist der größte Bilanzskandal Deutschlands“, sagte Oliver Roth dem Nachrichtensender „n-tv“. Der Experte der Oddo Seydler Bank hält es für „extremst unwahrscheinlich“, dass Wirecard-Anleger nennenswerte Anteile ihres Investments wiedersehen. Aktionäre seien nicht Gläubiger, klärt Insolvenzrechtler Peter Mattil auf. Anders sei das, wenn aus Pflichtverletzungen von Managern Schadenersatzansprüche hergeleitet werden können. Derartige Klagen sind auf dem Weg, allen voran durch die Kanzlei Tilp in Baden-Württemberg.

Der Anlegerschaden kann im Einzelfall immens sein. Ende 2018, kurz nach Aufnahme in den deutschen Leitindex Dax, war eine Wirecard-Aktie knapp 200 Euro wert. Zu Geschädigten zählen auch die 5800 Beschäftigten des Zahlungsdienstleisters. Deren berufliche Existenz steht nun auf dem Spiel. Am Donnerstag machten Gerüchte die Runde, dass Wirecard nicht einmal mehr genug Geld habe, um die Monatslöhne für Juni zu überweisen.

Artikel 4 von 6