3D-Druck verändert die Spielregeln

von Redaktion

VON THOMAS MAGENHEIM-HÖRMANN

München – 3D-Druck ist für die meisten Menschen ferne Zukunftsmusik. Antonio Campinos hat ihre Klänge mitten in der Corona-Pandemie vernommen, als diesen März in norditalienischen Notstandsgebieten nicht mehr genug Beatmungsgeräte zur Verfügung standen. „3D-Druck hat in der Lombardei Covid-Patienten gerettet“, betont der Präsident des Europäischen Patentamts (EPA).

Er erinnert daran, dass dort Ventile für defekte Beatmungsgeräte per 3D-Druck ersetzt und herkömmliche Taucherbrillen durch 3D-gedruckte Spezialteile zu Beatmungsmasken umfunktioniert wurden. Am Markt zu kaufen war nichts mehr. „Additive Fertigung war schneller als die herkömmliche Industrie, gebrochene Lieferketten wurden übersprungen“, beschreibt Yann Meniere die Vorzüge. Er ist Chefökonom des EPA, das eine Studie zu additiver Fertigung, wie 3D-Druck im Fachjargon heißt, erstellt hat.

Die Technologie steht weltweit im Fokus von Erfindern, denn sie ist in vielen Bereichen vom Gesundheitswesen über die Luftfahrt bis zur Sportartikelindustrie anwendbar. Seit 2015 legen Patentanmeldungen für 3D-Druck beim EPA jährlich im Schnitt um 36 Prozent zu, belegt die zu einer 3D-Konferenz präsentierte Studie. Das ist ein Zehnfaches verglichen mit Patentersuchen insgesamt. Aus europäischer Sicht vielversprechend finden Meniere und Campinos, dass beim 3D-Druck Europa den Ton angibt und allgemein aufkommende Patentmächte wie China oder Südkorea hier kaum eine Rolle spielen.

Es ändere die Spielregeln der Wirtschaft fundamental, wenn Produkte nicht mehr in fernen Ländern hergestellt und über lange Strecken zum Endkunden transportiert werden müssten, meint EPAChef Campinos. Noch ist die Technologie für Massenproduktion im industriellen Maßstab oft zu teuer. Materialien wie Holz oder Baumwolle lassen sich noch nicht 3D-drucken. Aber auch daran wird geforscht mit Europa als Innovationszentrum. Getragen wird das von deutschen Firmen. Unter den 20 beim 3D-Druck anmeldestärksten Konzernen rangieren mit Siemens (645 Anmeldungen zwischen 2010 und 2018), BASF (363), MTU (195), Evonik (151) und dem auf 3D-Druckspezialisten EOS fünf heimische Unternehmen.

Wenn nicht gerade eine Pandemie zur Notfallproduktion von Beatmungsgeräten zwingt, stehen individuell maßgeschneiderte Prothesen oder Implantate im Vordergrund. Auch erste Prototypen für 3D-gedruckte Organe wie ein menschliches Herz gibt es. Aber auch in der Industrie werden immer mehr Teile am Computer entworfen und mit 3D-Druckern gefertigt, die so einzigartig sind, dass sie in herkömmlichen Verfahren mittels Werkzeugmaschinen nicht zu bauen wären. Das ermöglicht auch neue Eigenschaften, reduziert Gewicht oder erhöht Festigkeit. Im Automobilbau beispielsweise wird 3D-Druck in der Prototypenfertigung eingesetzt, was Entwicklungszeiten stark verkürzt.

Chemiekonzerne wie BASF wiederum stellen immer mehr neue Materialien für den 3D-Druck her. Wenn die Druckkosten weiter fallen, kann wettbewerbsfähiger 3D-Druck auch in immer größere Stückzahlen vordringen. Sportartikler wie Nike oder Adidas experimentieren seit Jahren mit 3D-gedruckten Sportschuhen. Wenn begehrte Trendware schnell beim Kunden sein soll, ist der im Vorteil, der in Abnehmermärkten 3D-fertigen und dann auch höhere Preise verlangen kann. Campinos sieht 3D-Druck zu Hause bei Verbrauchern ankommen, sobald bezahlbare 3D-Drucker einmal zur IT-Grundausstattung gehören. „Das verwandelt Konsumenten zu Produzenten“, sagt der EPA-Chef. Die Technologie könne damit auch einen Trend zu lokaler Ökonomie auslösen. Angesichts der Innovationsdynamik sei das kein Blick in eine allzu ferne Zukunft, findet Campinos.

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