Hannover – Die Police hat es in der Pandemie zu fragwürdiger Berühmtheit gebracht. Betriebsschließungsversicherungen (BSV) schützen vor allem Hotel- und Gastronomiebetriebe gegen Umsatzausfall ab, wenn Behörden eine Kneipe dichtmachen. Gut 70 000 Policen dieser Art waren in Deutschland aktiv, als die Corona-Welle ins Land geschwappt ist. Aber nur wenige Versicherer wollten mit Verweis auf Kleingedrucktes Schadenersatz leisten. Der Streit um die speziellen Versicherungen tobt bis heute und hat Gerichte erreicht. Zudem wurden die Policen im März vom Markt genommen.
Die HDI in Hannover hat nun als erster Versicherer die Betriebsschließungsversicherung in veränderter Form wieder im Angebot und erfreut sich reger Nachfrage. „Ein Großteil unserer Kunden hat die neuen Bedingungen bereits angenommen“, sagt der Chef der HDI Versicherungs AG, Christoph Wetzel. Dazu komme signifikante Nachfrage von Firmen aus lebensmittelnahen Branchen, die bisher nicht bei HDI versichert waren. Die Hannoveraner jagen der Konkurrenz Kunden ab, was nicht verwundert. Denn HDI ist einer der wenigen Versicherer, die in der Corona-Pandemie anstandslos Schadenersatz leisten. Von den rund 2100 Fällen, die HDI gemeldet wurden, ist bislang die Hälfte reguliert.
„Bisher wurden durch die HDI Versicherung auf Grundlage der BSV rund 40,9 Millionen Euro an Schadenzahlungen geleistet“, sagt Wetzel. Die Pandemie treffe HDI hart, aber nicht ins Mark. Schon geleistete und noch anstehende Schadensummen seien erheblich, aber tragbar. Versichert waren in der Regel maximal drei Viertel eines Tagesumsatzes limitiert auf 30 Schließungstage. Das ist branchenüblich.
Unüblich ist vielmehr, dass ein Versicherer überhaupt zahlt. Das Gros der Branche sperrt sich und konnte nur durch Druck zu einem Kompromiss gebracht werden, den Versicherte vielfach als faul empfinden. Er sieht eine Begrenzung der Schadenersatzpflicht auf maximal 15 Prozent der vereinbarten Tagessätze vor.
Gastronomen, die sich geprellt fühlen, ziehen deshalb gerade vor Gericht. Ihre Chancen stehen nicht schlecht. Das Landgericht Mannheim hat Ende April ein erstes Urteil zugunsten eines Versicherten gefällt (AZ 11 O 66/20). Sich verweigernde Versicherer sagen, dass in Versicherungsbedingungen das Coronavirus nicht explizit als Versicherungsfall benannt wurde. Auf Versicherungsrecht spezialisierte Anwälte sind dagegen der Meinung, dass alles versichert ist, was nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Auch HDI und einige andere Konzerne denken so und zahlen. Das teilt den Markt.
Bei den neuen Policen hat HDI aber Schadenersatz ausgeschlossen, falls Behörden per Allgemeinverfügung flächendeckend Betriebe schließen. Falls ein einzelner Betrieb zusperren muss, weil dort eine Krankheit grassiert, besteht Versicherungsschutz. Das gilt auch, wenn ein Mastbetrieb von Schweinepest oder Vogelgrippe betroffen ist und deshalb Nachbarbetriebe schließen müssen. Auch Letztere erhalten dann Schadenersatz.
So wie HDI nun die Bedingungen formuliert, war die Betriebsschließungsversicherung branchenweit wohl schon immer gemeint. Viele Altverträge sind aber mindestens interpretationsfähig, obwohl die Assekuranz längst wusste, welche Gefahren durch eine Pandemie drohen. „Pandemie – Risiko mit großer Wirkung“ ist der Titel eines 72-seitigen Reports, den die Allianz mit dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung 2006 erstellt hat. Auf Seite 58 findet sich folgender Satz. „Im schlimmsten aller Szenarien würde die Nachfrage von Gastgewerbe und Kultur gar um 80 Prozent einbrechen.“ Das hat sich als treffsicher erwiesen.